Teilnehmerinnen einer Demonstration gegen die Paragraphen 218 und 219a, die Schwangerschaftsabbrüche und das Werbeverbot dafür regeln

26. April 1974 - Bundestag verabschiedet Reform des Paragraphen 218

Stand: 26.04.2019, 00:00 Uhr

"Mein Bauch gehört mir!" - in den 1970er und 1980er Jahren fordern viele Frauen in Westdeutschland die Streichung des sogenannten Abtreibungsparagrafen 218. Denn bis in die 1970er Jahre gilt in der Bundesrepublik noch das strenge Abtreibungsverbot des Kaiserreiches.

Nur in wenigen medizinischen Ausnahmefällen sind Schwangerschaftsabbrüche erlaubt. Spätestens als 1971 über 370 Frauen öffentlich bekennen, dass sie abgetrieben haben, erreicht die gesellschaftliche Diskussion die Parteipolitik.

Bundestag reformiert den § 218 (am 26.04.1974)

WDR 2 Stichtag 26.04.2019 04:17 Min. Verfügbar bis 23.04.2029 WDR 2


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Karlsruhe stoppt Fristenlösung

Am 26. April 1974 spricht sich der Bundestag mit den Stimmen der sozialliberalen Koalition unter Kanzler Willy Brandt (SPD) für eine Reform von Paragraf 218 aus. Sie erlaubt in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten eine Abtreibung ohne Angaben von Gründen.

Kirchen und Konservative sind empört. Das umgehend angerufene Bundesverfassungsgericht stoppt im Februar 1975 die Gesetzesreform. "Fristenlösung geht nicht, weil der Embryo ein eigenes Grundrecht auf Leben hat", fasst der Jurist Reinhard Merkel, Mitglied im Deutschen Ethikrat, heute die damalige Argumentation des Gerichts zusammen.

Indikationenlösung ab 1976

Die Wut in der Frauenbewegung ist groß. Eine Woche nach dem Urteil detoniert eine Sprengladung am Sitzungssaalgebäude des Gerichts. Zum Anschlag bekennt sich eine bis dahin unbekannt Gruppe "Frauen der revolutionären Zelle".

Statt der Fristenlösung tritt 1976 die sogenannte Indikationslösung in Kraft. Sie sieht Straffreiheit für Abtreibungen nur dann vor, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen - zum Beispiel eine Schwangerschaft durch Vergewaltigung.

In der DDR gängige Praxis

Erst nach dem Fall der Mauer rückt die Fristenlösung - und damit die Entscheidungsfreiheit der Frau - erneut in den öffentlichen Fokus. Denn in der DDR gilt sie schon lange. Nach der Wiedervereinigung versucht der Bundestag erneut, eine Fristenlösung einzuführen.

Doch auch die 1992 beschlossene Fristenregelung wird von den Karlsruher Richtern 1993 gekippt. Damit ist der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland bis heute rechtswidrig. Er bleibt jedoch straffrei, wenn die Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen nach einer verpflichtenden Beratung durchgeführt wird.

Zu einem späteren Zeitpunkt ist sie nur möglich, wenn bestimmte Indikationen vorliegen - wie beispielsweise eine Behinderung des Fötus.

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