Am 4. März 1975 um 20.07 Uhr explodiert am Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe eine Sprengladung. Zu dieser Zeit patrouillieren vier Beamte des Bundesgrenzschutzes um das Gericht – zu wenig, um einen Anschlag zu verhindern. Einige der großen Fensterscheiben des Gebäudes – Symbol für die Offenheit und Bürgernähe des höchsten deutschen Gerichts – zerbersten. Verletzt wird niemand.Die Ermittler sind bald sicher, dass die Bombe nicht von Profis stammt. Also auch nicht von der RAF oder der "Bewegung 2. Juni", die einige Wochen zuvor den CDU-Politiker Peter Lorenz entführt hat. Die Sprengladung war an einem Pfeiler des Gebäudes angebracht, ohne ein Gehäuse, das die Kraft der Detonation nach innen gelenkt hätte. Schließlich geht beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" ein Bekennerschreiben ein. Unterzeichnet ist es von einer unbekannten Gruppe "Frauen der revolutionären Zelle". Ihr gewaltsamer Protest gilt dem BVG-Urteil, das gerade eine Woche alt ist: Da haben die Verfassungsrichter die Reform des Paragrafen 218, die so genannte Fristenregelung, für nichtig erklärt. Straffreiheit für eine Abtreibung ohne die Prüfung ihrer Gründe - einer sozialen oder medizinischen "Indikation" - sei verfassungswidrig. Die Reformdiskussion geht danach noch bis in die 90er Jahre weiter. Auch das Verfassungsgericht wird noch einmal bemüht.
Trotz Bekennerschreiben werden die Täterinnen nie gefasst – anders als beim ersten Anschlag auf das Verfassungsgericht: 1952 explodierte eine Pulverladung an dem Gebäude, als sie eine Putzfrau mit dem Besen beseitigen wollte. Auch damals wurde niemand verletzt. Der Täter war ein Dauerkunde des Gerichts, der sich auf seine Weise darüber beschwerte, dass seine reihenweise eingereichten Verfassungsklagen nicht angenommen wurden.Stand: 04.03.05