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Walther Rathenau, deutscher Außenminister

29. September 1867 - Der deutsche Außenminister Walther Rathenau wird geboren

Stand: 22.09.2022, 10:20 Uhr

Walther Rathenau ist ein Berliner Jude, der preußischer sein will als die Preußen. Er wird verehrt und ist verhasst, er ist reich - und schreibt ein brillantes Manifest gegen den maßlosen Kapitalismus. Der Mord an ihm erschüttert die instabile Weimarer Republik.

Fünf Schüsse und eine Handgranate - damit beenden rechtsradikale Terroristen der "Organisation Consul" am 24. Juni 1922 das Leben von Außenminister Walther Rathenau. Er wird zum Märtyrer der Weimarer Republik - und bleibt als solcher im Gedächtnis. In fast jeder deutschen Stadt ist heute eine Straße oder ein Platz nach ihm benannt. Die Erinnerung an den Menschen Walter Rathenau ist inzwischen jedoch stark verblasst.

Dabei hat er seine Zeitgenossen mit seinem schillernden Lebenslauf fasziniert. "Ein sonderbarer Heiliger - halb echt, halb falsch", schreibt Thomas Mann über ihn. Robert Musil nimmt ihn als Vorbild für die Hauptfigur seines Romans "Mann ohne Eigenschaften". Und sein Freund, der norwegische Maler Edvard Munch, porträtiert ihn als nachdenklichen Tatmenschen.

Unglücklich und einsam

Geboren wird Walther Rathenau am 29. September 1867 in Berlin. Vater Emil gründet die AEG und wird mit der Elektrifizierung Deutschlands reich. Mutter Mathilde fördert Walthers musische Talente: Er malt, schreibt Gedichte, Theaterstücke und Aphorismen. Trotzdem fühlt er sich meist unglücklich und einsam: "Wer schöne Aussichten braucht, darf keine tiefen Einsichten haben."

Rathenau will dazugehören in der Berliner Gesellschaft. Er versucht den in - seiner Sicht - Makel der jüdischen Herkunft loszuwerden, indem er das Germanische verherrlicht. Er richtet sich gegen die sogenannten Ostjuden, die vor den zaristischen Pogromen Schutz suchen. Für ihn sind sie "inmitten deutschen Lebens ein abgesondert-fremdartiger Menschenstamm".

"Bürger zweiter Klasse"

Darüber sind seine wenigen Freund genauso entsetzt wie sein Vater. Der lässt alle Exemplare der Zeitschrift aufkaufen, in der sein Sohn so etwas veröffentlicht hat. Walther rudert zurück, nennt alles eine "Jugendflegelei" und leidet doch weiter darunter, dass er als Jude im Kaiserreich als "Bürger zweiter Klasse" gilt.

Möglicherweise gibt es noch einen weiteren Grund für das Gefühl, nicht dazuzugehören: Bis heute ist strittig, ob Rathenau schwul ist. Offen lebt er die angebliche Homosexualität nicht aus. Das wäre im prüden Kaiserreich das gesellschaftliche Todesurteil. Es bleibt bei schwärmerischen Briefen an einige Freunde.

Walther Rathenau, deutscher Politiker (Geburtstag am 29.9.1867)

WDR ZeitZeichen 29.09.2022 14:53 Min. Verfügbar bis 29.09.2099 WDR 5


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Zwischen Kriegswirtschaft und Gesellschaftsumbau

Rathenau ist ein Mann der Gegensätze. Er ist ein Intellektueller, der politische Aufsätze und kulturkritische Sachbücher schreibt. Und er ist zugleich ein Industrieller, der bei AEG eine Schlüsselrolle hat und in mehr als 80 Aufsichtsräten anderer Firmen sitzt. Sein Spottname lautet "Aufsichtsrathenau".

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges organisiert er als Leiter der Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium die deutsche Kriegswirtschaft. Nach antisemitischen Beschimpfungen tritt er zurück und wechselt seine Perspektive um 180 Grad. In seinem Bestseller "Von kommenden Zeiten" fordert er einen Umbau der Gesellschaft: Ende der Monopole, Umverteilung von oben nach unten und eine gemeinwohlorientierte Wirtschaft.

Damit sorgt Rathenau wieder einmal für Widerspruch. Liberale und Konservative sind entsetzt, die Linken nehmen es ihm nicht ab - schließlich führt er als einer der reichsten Deutschen einen entsprechenden Lebensstil.

Regierungsberater und Ministerämter

Nach Kriegsende tritt Rathenau in die liberale "Deutsche Demokratische Partei" ein. Er wird Regierungsberater, dann Wiederaufbauminister und Anfang 1922 schließlich Außenminister. Er versucht, die Reparationsforderungen aus dem Versailler Vertrag mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands in Einklang zu bringen.

Bei den westlichen Siegermächten genießt er bald großes Vertrauen. Für seine Ausgleichspolitik wird er von seinen rechten Feinden als "Erfüllungspolitiker", "Volksschädling" und "Verbrecher" beschimpft. Eine der Hassparolen lautet: "Knallt ab den Walter Rathenau - die gottverdammte Judensau!"

Empörte Demokraten

Nach fünf Monaten als deutscher Außenminister wird Walther Rathenau in Berlin erschossen. Der Mord bewirkt zunächst einen Zusammenschluss der Demokraten. Allein in Berlin nehmen über eine Million Menschen an der Trauerfeier teil. Doch die gemeinsame Empörung stabilisiert die Weimarer Republik nur kurze Zeit. 1933 übernehmen die Nationalsozialisten die Macht - und verbrennen auch Rathenaus Bücher.

Autor des Hörfunkbeitrags: Thomas Pfaff
Redaktion: David Rother

Programmtipps:

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