Hitlerjungen als Flakhelfer in Bereitschaft beim Schachspiel (NS-Propaganda-Aufnahme vom April 1943)

26. Januar 1943 - Adolf Hitler verordnet den Kriegshilfseinsatz der deutschen Jugend

Flakhelfer und "Blitzmädel" zur Abwehr alliierter Luftangriffe - 1943 verordnet Adolf Hitler den Kriegshilfeeinsatz der deutschen Jugend. Im ZeitZeichen erzählen frühere Zwangsverpflichtete über ihre Erlebnisse.

Der Zweite Weltkrieg am Wendepunkt: Die Sechste Armee der deutschen Wehrmacht ist seit Wochen in Stalingrad eingekesselt. Am 8. Januar 1943 fordert die sowjetische Rote Armee den General Friedrich Paulus zur Kapitulation auf. Doch Adolf Hitler lehnt ab. Er besteht auf seinem Durchhaltebefehl, obwohl die Lage für die deutschen Angreifer schon lange prekär ist.

Bereits im September 1942 hatte Hitler 120.000 Soldaten der Luftwaffe aus den Stellungen im Reich abgezogen, um sie an der Ostfront einzusetzen. Daraufhin gab es erste Überlegungen, den wachsenden Bedarf an Soldaten durch Jugendliche auszugleichen. Sie sollen als Hilfspersonal die Bombenangriffe der Alliierten auf deutsche Städte abwehren.

Teil des "totalen Krieges"

Am 26. Januar 1943 ist es soweit: Hitler ordnet den "Kriegshilfeeinsatz der Jugend bei der Luftwaffe" an. Der Erlass bestimmt, dass 15- bis 16-jährige Jungen bei der sogenannten Heimatflak eingesetzt werden. Ihr Einsatz beginnt am 15. Februar 1943 - drei Tage bevor NS-Propagandaminister Joseph Goebbels in seiner Sportpalast-Rede den "totalen Krieg" ausruft.

Auch die Jahrgänge 1926 und 1927 des Kaiser-Karls-Gymnasiums in Aachen werden wie alle Schüler ihres Alters im Klassenverband eingezogen. Der zuständige Kreisleiter versichert, dass die Söhne weiter Schulunterricht bekämen, Wochenendurlaube beantragen könnten, der Dienst nicht anstrengend und die Essensrationen ausreichend seien.

Tondokumente von 1975

Die meisten Jugendlichen sind gern dabei. "Dass wir Soldaten werden konnten, das war damals was Besonderes", erzählt ein ehemaliger Flakhelfer. Er gehört zu 50 Befragten einer Studie von 1975, die als Schulprojekt durchgeführt wird. Der Geschichtslehrer Paul Emunds interviewt damals mit seinen Schülern ehemalige Flakhelfer aus der Aachener Region.

Die Gespräche dauern insgesamt 45 Stunden, aufgenommen mit einem Tonbandgerät. Die Aufnahmen des Projekts mit dem Titel "Mit 15 an die Kanonen" werden heute beim Heimatverein Eilendorf verwahrt. Das WDR-ZeitZeichen veröffentlicht die Tondokumente zum ersten Mal.

Jugendkriegshilfseinsatz verordnet (am 26.01.1943)

WDR Zeitzeichen 26.01.2023 14:53 Min. Verfügbar bis 26.01.2099 WDR 5


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Nachts in Alarmbereitschaft

Zunächst herrscht in den Mehrbett-Baracken der Aachener "Luftwaffenhelfer" so etwas wie Zeltlagerstimmung. Es gibt 18 Wochenstunden Unterricht in Deutsch, Latein und Naturwissenschaften. Spannender scheint aber die militärische Ausbildung zu sein: Flugzeugtyp-Erkennung und Kursberechnung feindlicher Flieger, das Bedienen von Fernsprechgeräten und Geschützen.

Immer häufiger müssen die Schüler nachts in den Einsatz oder Wache schieben. Die Abenteuerlust weicht der Müdigkeit tagsüber. Immer häufiger fällt deshalb der Schulunterricht aus. "Es verging kaum eine Nacht, in der nicht irgendwie Fliegeralarm war", erinnert sich einer der früheren Flakhelfer im Interview. Die Aachener Flak-Batterien seien fast jede Nacht in Alarmbereitschaft gewesen.

Todeszahl unbekannt

In den letzten eineinhalb Kriegsjahren werden im Deutschen Reich insgesamt rund 200.000 Realschüler, Gymnasiasten, Lehrlinge und Fachoberschüler als Flakhelfer einberufen. Auch einige Mädchen sind darunter. Sie werden "Blitzmädel" genannt.

Wie viele Jugendliche bei den Bombardements sterben, ist nicht bekannt. Die Überlebenden versuchen mit ihren Erlebnissen zurechtzukommen. Die von Geschichtslehrer Emunds geleitete Studie zeigt, dass alle Befragten große Defizite bei der Allgemeinbildung beklagen.

Vorteile fürs spätere Leben?

Zugleich sagen 70 Prozent von ihnen, der Einsatz sei nach Kriegsende für ihr Berufsleben nützlich gewesen. Das Fazit der Schulstudie von 1975 lautet hingegen: Vorteile fürs spätere Leben hervorzuheben sei nur der Versuch, irgendwie noch etwas Gutes im Kriegshilfseinsatz zu sehen.

Mit ihrer Interpretation sind die ehemaligen Flakhelfer nicht allein: Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist jahrzehntelang durch Verdrängen, Schweigen und Umdeuten geprägt. Erst seit den 1980er-Jahren gehen die Deutschen offener mit der eigenen Vergangenheit um – damals entsteht eine öffentliche Erinnerungskultur.

Autorinnen des Hörfunkbeitrags: Michaela Natschke und Irene Geuer
Redaktion: Gesa Rünker

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 26. Januar 2023 an die Verordnung des Kriegshilfseinsatzes der deutschen Jugend. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

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