Franz Kafka (letztes Bild)

22. September 1912 - Franz Kafka schreibt "Das Urteil"

Wie besessen schreibt Franz Kafka in einer einzigen Nacht die Erzählung "Das Urteil". Sie macht ihn zum Schriftsteller, zu einem der wegweisendsten seines Jahrhunderts.

Am Abend des 22. September 1912 fängt Franz Kafka an zu schreiben. Im Morgengrauen des nächsten Tages ist "Das Urteil" fertig. Mit der Erzählung gelingt Franz Kafka, was er lange nicht zu hoffen gewagt hat: Er hat einen Text zu Ende gebracht, der seinen hohen Ansprüchen genügt. Er fühlt sich endlich als Schriftsteller. Die vom Sitzen steif gewordenen Beine kann er am Morgen kaum unter dem Schreibtisch hervorziehen. Erschöpft ist er, aber auch begeistert.

Alles, was vorher war, erscheint ihm jetzt als bloße Fingerübung. Zum ersten Mal hat er das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.

"Nur so kann geschrieben werden, nur in einem solchen Zusammenhang, mit solcher vollständigen Öffnung des Leibes und der Seele." Franz Kafka

Das Werk steckt den Raum ab, den er fortan als Schriftsteller besetzt halten würde. Auf wenigen Seiten ist alles versammelt: die Traumlogik mit ihren Widersprüchen, die juristischen Begriffe, die zuwiderlaufende Handlung, die klare Sprache und das ängstigende Verhältnis zum autoritären Vater.

Franz Kafka schreibt in einer Nacht "Das Urteil" (am 22.9.1912)

WDR Zeitzeichen 22.09.2022 14:18 Min. Verfügbar bis 22.09.2099 WDR 5


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Auch im wahren Leben von Franz Kafka ist das Verhältnis zum Vater höchst problematisch. Ihm schreibt er Jahre später einen Brief, findet Worte für seine Furcht - um dann den "Brief an den Vater" niemals abzuschicken.

Das entscheidende Kraftfeld seines Lebens ist das Schreiben, die Literatur. Dabei will er auch die Rolle spielen, die von ihm erwartet wird: heiraten, eine Familie gründen. Zugleich kann er es nicht. Alle Beziehungen, bis auf die letzte, scheitern. Nur seine Freundin Dora Diamant begleitet ihn zwei Jahre lang bis zum Tod.

Erzählungen von anonym-bösartigen Mächte

In seinen Texten beschreibt Franz Kafka die Bedrohungen, mit denen sich die Menschen im 20. Jahrhundert auseinandersetzen müssen: die Vereinsamung des modernen Menschen, das Ausgeliefertsein an anonym-bösartige Mächte, die aussichtslose, metaphysisch verstörende Verzweiflung, totalitäre Gewalt und sinnlose Mühen.

Als der noch nicht 30-Jährige in jener Septembernacht des Jahres 1912 seinen persönlichen literarischen Durchbruch erlebt, bleiben ihm noch zwölf Jahre, um die ungeheure Welt in seinem Kopf in Geschichten zu verwandeln.

Kafkas Geschichten wirken bis heute in unserer Alltagssprache nach: Für alptraumhaft verwirrende und undurchsichtig bedrohliche Situationen gibt es dank ihm heute einen Begriff: "kafkaesk".

Autorin des Hörfunkbeitrags: Monika Buschey
Redaktion: David Rother

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 22. September 2022 an die Erzählung "Das Urteil" von Franz Kafka.

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