Redezeit
Extremistische Zeitenwende? – Landtagswahlen im Osten
Bei den Landtagswahlen am 1. September in Thüringen und Sachsen könnte die AfD stärkste, das BSW drittstärkste Kraft werden. Der Soziologe Steffen Mau beleuchtet Zusammenhänge zwischen dem Wahlverhalten im Osten und einer "Ostidentität" vor und nach der Wende.
Am 1. September wird in Thüringen und Sachsen ein neues Parlament gewählt. Laut Umfragen wird ein Drittel der Wählerschaft der AfD ihre Stimme geben und sie somit zur stärksten Kraft im Parlament machen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) könnte aus dem Stand heraus drittstärkste Kraft werden. Anders die etablierten Parteien. Nur die CDU kann Prognosen zufolge der AfD ernsthaft Paroli bieten im Kampf um die stärkste Kraft im Parlament.
Wie ist es zu erklären, dass so viele Menschen in beiden neuen Bundesländern mit der AfD eine rechtsextreme Partei favorisieren, mit all ihren demokratiefeindlichen und menschenverachtenden Facetten? Oder mit dem BSW eine Partei unterstützen, deren Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht einen eher autoritären Staat befürwortet, ideologische Nähe zu Russland zeigt, für eine rigide Migrationspolitik eintritt und nicht reflexhaft alles ablehnen möchte, was von der AfD kommt?
Der Soziologe Steffen Mau geht in seinem Buch "Ungleich vereint: Warum der Osten anders bleibt“ der Frage nach, wie sich eine möglicherweise mangelhaft aufgearbeitete DDR-Diktatur-Vergangenheit und die Folgen der Wende auf das Wahlverhalten auswirken. Mit Ralph Erdenberger spricht er über den "Freiheits-Schock" und allen einhergehenden sozialen, identitätsbezogenen und ökonomischen Traumata, die Über-Nacht-Demokratisierung nach westdeutschen Vorstellungen, die heute nach wie vor schwach ausgebildeten zivilgesellschaftlichen Strukturen, die immer noch schlechtere soziale und ökonomische Lage im Vergleich zu den alten Bundesländern, die Abwanderung von jungen Leuten aus den neuen Bundesländern mit entsprechender Vergreisung und Männerüberschuss, eine Zuwanderern ablehnende Wagenburg-Mentalität in geschrumpften Gemeinden, ein Mangel an Ost-Eliten, das eher klein- und mittelständige Milieu und eine gewisse tradierte Ostidentität.
Darüber hinaus schaut Erdenberger mit Mau auf die Alltagsherausforderungen, mit denen sich die politischen Akteure und die Zivilgesellschaft in beiden Bundesländern konfrontiert sehen, die nicht ein extremistisches Gedankengut befürworten. Zudem wagen sie einen Ausblick, welche Auswirkungen eine Regierungsbeteiligung der AfD und auch des BSW auf die Demokratie in Thüringen und Sachsen haben könnte und darüber hinaus auf die gesamte bundesdeutsche Gesellschaft.
Buchtipp
Steffen Mau (2024): Ungleich vereint – Warum der Osten anders bleibt. Berlin: Suhrkamp. 168 Seiten. 18 Euro. ISBN 978-3518029893.
Redaktion: Lars Schweinhage