"Wenn ich ausgehend von meiner Forschung einen zentralen Trend fürs kommende Jahrzehnt benennen sollte, würde ich sagen: das Mainstreaming von radikalem Gedankengut", sagt Julia Ebner. Mainstreaming heißt: Randpositionen aus Subkulturen rücken in die Mitte der Gesellschaft und werden dort zunehmend satisfaktionsfähig, so dass sie schließlich auch die politischen Diskurse des Mainstreams – oft destruktiv – prägen.
Ein Beispiel für die Folgen solcher Massenradikalisierungsprozesse ist der sogenannte "Sturm auf das Kapitol" in Washington/USA am 6. Januar 2021. Aber der Effekt der Massenradikalisierung ist keineswegs auf die Vereinigten Staaten beschränkt, auch in Europa und in Deutschland wird seine Dynamik zunehmend spürbar. Zum Beispiel bei den Diskussionen um den Umgang mit dem Klimawandel und bei den Diskursen um den Krieg in der Ukraine.
Julia Ebner, geboren 1991, stammt aus Wien und lebt in London. Sie ist Journalistin, Autorin, Politikberaterin und Extremismusforscherin, spezialisiert auf Rechtsradikalismus, Radikalisierungsprozesse und Terrorismusprävention. Sie warnt und mahnt – und fordert einen wacheren, aktiveren Umgang mit der multidimensionalen Problematik, die die demokratischen Systeme ihrer Ansicht nach in ihren Grundfesten erschüttert: "Wenn Extremismus erst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, können wir uns nicht mehr auf bewährte Ansätze verlassen, um ihn zu bekämpfen."
Redaktion: Barbara Geschwinde
Buchtipp
Julia Ebner (2023): Massenradikalisierung. Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt. Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann. Berlin: Suhrkamp Nova. 360 Seiten. 20 €. ISBN: 978-3-518-47314-6.