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Porträt von Johannes Franzen.

Redezeit

Über Geschmack streiten – Johannes Franzen

Über (guten) Geschmack lässt sich streiten – heute mehr denn je. Wie die Digitalisierung die Bewertung von Büchern, Filmen, Kunstwerken verändert hat und weshalb dabei so viele Emotionen im Spiel sind, hat der Siegener Literaturwissenschaftler Johannes Franzen untersucht.  

Die Zeiten, in denen das Urteil über "gute" oder "schlechte" Kunst den Vertretern einer vermeintlichen "Hochkultur" überlassen war,  scheinen vorbei. Eine neue Netflix-Serie, der aktuelle Roman einer Bestsellerautorin, das jüngste Taylor-Swift-Album werden im Netz hunderttausendfach kommentiert.

Die Digitalisierung hat für Johannes Franzen zu einer "Emanzipation des Publikums" geführt, die grundsätzlich einen positiven Schub an Teilhabe bedeutet. Gleichzeitig entgleist diese Entwicklung immer häufiger: Taylor-Swift-Kritiker erhalten Todesdrohungen; Schauspielerinnen werden wüst beschimpft, weil die von ihnen verkörperten fiktiven Figuren als böse, falsch oder hinterhältig wahrgenommen werden. Und wenn eine deutsche Lyrikerin, wie im vergangenen Jahr Judith Zander, mit einem renommierten Preis ausgezeichnet wird, entfaltet sich darüber im Netz ein heftiger "shitstorm".

Für Johannes Franzen offenbaren diese Prozesse das hohe Maß an Emotionalität, das mit Geschmacksurteilen verbunden ist. "Wir definieren uns über unsere Lieblingsfilme, die Lieblingsmusik, das Herzensbuch", sagt er. Sie sind Teil unserer "Selbsterzählung" und Teil unserer Identität. Kritik daran birgt ein hohes emotionales Verletzungspotential. Und doch ist für ihn eine intensive Streitkultur unverzichtbar, denn: "Konflikte sind der wichtigste Motor der Kulturgeschichte."

Redaktion: Beate Wolff und Julia Lührs

Buchtipp

Johannes Franzen: Wut und Wertung. Warum wir über Geschmack streiten. Frankfurt/M: S. Fischer. 2024. 432 Seiten, 26 Euro. ISBN: 978-3-10-397620-5