Lesefrüchte
"Das Schachbrett" von Jean-Philippe Toussaint
Stand: 03.05.2024, 13:27 Uhr
Der belgische Romancier wagt sich mit diesem Essay erstmals ins Gebiet autobiografischen Schreibens: Das Schachspiel dient dem ambitionierten Hobbyspieler dabei als roter Faden durch die Erinnerungen an seine Jugend und seinen Werdegang zum Schriftsteller.
Im Mittelpunkt seines Erzählens steht dabei sein Versuch, im Lockdown-Frühjahr 2020 in seiner Brüsseler Wohnung Stefan Zweigs "Schachnovelle" vom Deutschen ins Französische zu übersetzen. So ganz wird nicht klar, weshalb er davor kapitulierte, doch lässt sich aus dem ironischen Protokoll dieses Scheiterns schließen, dass es wohl vor allem an seinen unvollkommenen Deutschkenntnissen lag.
Ansonsten überlässt sich Toussaint den Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend: Er erzählt von den langen Schachpartien, die er als Jugendlicher mit seinem Vater ausfocht und davon, wie er für einen Spielfilm den Großmeister Artur Jussupow engagierte, mit ihm spielte – und natürlich verlor.
Die spannendsten Kapitel in Toussaints Essay sind die über das französische Schachgenie Gilles Andruet, mit dem er sich als Student in der Schachbibliothek des Centre Pompidou anfreundete. Aus dem tragischen Schicksal Andruets – er wurde 1995 von einer Glücksspielmafia ermordet - hätte Toussaint locker einen Roman machen können. Er belässt es hier bei seiner Erinnerung. Deren erzählerische Dichte allerdings macht unbedingt Appetit auf sein nächstes Buch.
Eine Rezension von Peter Meisenberg
Literaturangaben:
Jean-Philippe Toussaint: Das Schachbrett
Aus dem Französischen von Joachim Unseld
Frankfurter Verlagsanstalt, 2024
256 Seiten, 18,99 Euro
Programmhinweis in Sachen Schach:
Bei WDR 5 "Lies mir was vor" dreht sich am 9. Mai, an Christi Himmelfahrt, ab 20.05 Uhr alles um die Schachnovelle. Rebecca Link empfängt zu Sendung und Podcast, Makke Schneider liest vor, Ferdinand Quante ordnet ein.