Krimicheck
"Samson und das gestohlene Herz" von Andrej Kurkow
Stand: 04.08.2023, 17:40 Uhr
Der große Ukrainer Andrej Kurkow setzt seine Krimi-Serie um den jungen Ermittler Samson im Kiew der Jahre 1919/20 fort: Ringsum Revolution, Bürgerkrieg und Hunger. Und dann verschwindet auch noch Samsons Geliebte!
Es sind nur Gerüchte, die der junge Polizist Samson und sein Kollege Cholodnyj auf dem Weg zum Feierabendbier diskutieren. Aber sie markieren einen Epochenbruch: Will der Revolutionsführer Trotzkij wirklich Denkmäler für Judas errichten lassen? Weil der sich gegen das religiöse Diktat auflehnte? Doch bevor sich Samson und Cholodnyj in solchen Debatten verlieren können, fallen Schüsse und bald sind die beiden drin im neuen Fall. Es geht um Lebensmittel, um illegales Schlachten und um Schwarzhandel. Doch eigentlich geht es Kurkow - wie schon im ersten Teil der Serie - um ein Epochenpanorama. Kiew hat zwei Revolutionen hinter sich, Invasionen und den gescheiterten Versuch, einen unabhängigen ukrainischen Staat zu schaffen. Jetzt herrschen die Roten in der Stadt. Und es herrscht Hunger.
Zur Seite steht Samson wieder der alte Augenarzt Watruchin. Und natürlich: die herrliche Nadja. Bevor beide in einer atheistischen Kirchen-Zeremonie heiraten können, muss Nadja allerdings noch aus den Händen streikender Eisenbahner befreit werden. Denen ist die Sowjetmacht suspekt, auch wenn sie in Gestalt von Nadja daherkommt: Hübsch und freundlich und klug.
Und hier liegt der Kern von Kurkows Projekt: Samson ist weder Action-Held noch Sherlock Holmes. Aber die historischen Ereignisse, in die Kurkow ihn und seine Freunde und Kollegen wirft, sind dramatisch. Eben noch Gymnasiast trägt Samson jetzt Uniform und Revolver und muss die junge Sowjetmacht vertreten. Was aus dieser wird und aus dem geliebten Kiew, das wird von jungen Menschen wie Samson und Nadja abhängen. Der Sog, den Andrej-Kurkows Krimi-Serie entfaltet, gründet genau hier!
Eine Rezension von Uli Hufen
Literaturangaben:
Andrej Kurkow: Samson und das gestohlene Herz
Aus dem Russischen von Johanna Marx und Claudia Zecher
Diogenes, 432 Seiten, 24 Euro
