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16.02.2018 - Wagner, "Tristan und Isolde" an der Staatsoper Berlin

Stand: 16.02.2018, 13:50 Uhr

Dass Tristan und Isolde sich im romantischen Sinne nicht lieben, haben verschiedene Regisseure versucht klarzumachen: Christoph Marthaler, der in Bayreuth das Paar in fröstelnder Förmlichkeit vorführte oder Jossi Wieler in Stuttgart, der die beiden in animalischer Tumbheit einen sogenannten Liebesrausch erleben ließ. Nun hat an der Berliner Staatsoper der russische Meisterregisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov seine Version eines sich nicht liebenden Liebespaars gezeigt.

Im ersten Aufzug blickt man in einen gediegenen Club (wahrscheinlich auf einem Schiff), im zweiten in einen Salon der Sechzigerjahre mit angrenzendem Speiseraum und im dritten in eine ländliche, seit längerem unbewohnte Wohnstube. Alles ist filmreif gebaut und ausgeleuchtet. Es sind jedenfalls keine Räume, in denen normalerweise ekstatische Entgrenzungen stattfinden. Um Entgrenzung - weniger um echte Liebe - geht es aber in dieser Oper. Wenn die beiden vier Stunden lang von Nachtsehnsucht singen mit "O sink hernieder, Nacht der Liebe" als Zentralaussage, übrigens genau in der Mitte des Stücks, dann ist damit eine Art Todes- oder Vorgeburtssehnsucht gemeint, weniger ein erotisches Ereignis, wie Nike Wagner in ihrem sehr lesenswerten Aufsatz (abgedruckt im Programmbuch) hingewiesen hat.

Tcherniakov fragt nun, was solche Regression und Entgrenzung in einer bürgerlichen Umgebung, die er durch seine Bühne aufruft, bedeuten. Im ersten Aufzug reicht dazu schon eine beschwipstes Torkeln von Tristan und Isolde in Gegenwart Dritter nach dem Herunterspülen einer Droge, sprich Liebestrank. Im mittleren, dem Liebesnacht-Aufzug ist es eine Art von Hypnosehandlung, mit der Tristan Isolde bei eben jener Zentralstelle zu unkontrolliertem Verhalten bringen will. Dann freuen, juchzen und zappeln Isolde und insbesondere Tristan auf eine kindlich-karnevaleske Art. Wenn der Verräter Melot sie dabei ertappt, ist der Tabubruch kein Ehebruch, sondern eine Peinlichkeit. Einzig im dritten Aufzug, als Tristan von Vater- und Mutter-Visionen geplagt wird und diese wie Geister durch die Wohnstube schweben, ist er wirklich dem Wahnsinn im psychopathologischen Sinne nahe. Aber auch hier merkt man; es geht ihm nicht um Isolde.

Richard Wagner, Tristan und Isolde an der Staatsoper Berlin

Andreas Schager als Tristan im 3. Aufzug

Die mythische Dimension ("in des Welt-Atems wehendem All") trifft Tcherniakov nicht, aber er zeigt die Brüche des Stücks auf. Der Dirigent Daniel Barenboim macht mit dem Orchester quasi das Gegenteil des Regisseurs. Man könnte auch sagen, sie ergänzen sich. Er wühlt und furcht in der Partitur, ohne sie zu zerstören. Es grummelt und peitscht, es dröhnt volksmusikalisch oder es kommen stammelnde Töne, wenn im dritten Aufzug das Orchester und der Tristan-Sänger Andreas Schager, die Aufwachphase wie ein dadaistisches Silbengedicht vortragen. Und immer wieder dieses geballte, aber mit Bedacht eingesetzte Forte, das in der auch akustisch renovierten Staatsoper Unter den Linden sich klangschön entfaltet. Bei Barenboim ist nichts wie bei Tcherniakov um die Ecke gedacht. Man erlebt die Größe und die Vielschichtigkeit der Musik, und das ist auch ein Genuss, denn bei anderen Dirigenten kann "Tristan und Isolde" auch langweilig sein oder akademisch klingen. sein. Nicht hier, zumal wenn man eine Sängerbesetzung hat, die wirklich aufeinander eingestimmt ist und unter der Andreas Schager als Tristan noch einmal herausragt, allein schon darin, wie souverän er den dritten Aufzug bewältigt, von besagtem künstlichem Stammeln bis zum regelrechen Schrei "Hilf meiner Frau" und dazwischen echte Ekstase im Singen, die ihm der Regisseur verweigert und ihn an einem sehr profanen Herzinfarkt sterben lässt.

Premiere: 11.02.2018, besuchte Vorstellung: 15.02.2018 noch bis 18.03.2018

Besetzung

Tristan: Andreas Schager
König Marke: Stephen Milling
Isolde: Anja Kampe
Kurwenal: Boaz Daniel
Melot: Stephan Rügamer
Brangäne: Ekaterina Gubanova
Ein Steuermann: Adam Kutny
Stimme eines jungen Seemanns, Ein Hirt:Linard Vrielink

Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin
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Musikalische Leitung: Daniel Barenboim
Inszenierung, Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov
Kostüme: Elena Zaytseva
Licht: Gleb Filshtinsky
Video: Tieni Burkhalter
Einstudierung Chor: Raymond Hughes
Dramaturgie: Tatiana Vereshchagina, Detlef Giese