17.05.2018 – Wagner, "Parsifal" in Paris

Stand: 17.05.2018, 13:50 Uhr

Es ist bemerkenswert, wie wenig Sympathien die Gralsritter in Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal" bei den Regisseuren genießen. Richard Jones zeigt sie an der Opéra de Paris als Angehörige einer Sekte, deren Glauben hohl geworden ist und deren Riten in bloßer Konvention erstarrt sind.

Sie huldigen gar einem bedenklichen Personenkult. An der Wand hängt ein übergroßes Porträt, und links steht eine monströse Goldbüste wahrscheinlich vom Ordensgründer Titurel in seinen besten Jahren. Die Brüder glauben offenbar an etwas, was in blauen Büchern steht, die auf dem Rücken nur den Titel "Wort" tragen, also an alles und nichts.

Eine solche Sicht ist typisch bei den heutigen "Parsifal"-Regisseuren. Eine Ausnahme macht Uwe Eric Laufenberg, dessen Inszenierung zur Zeit bei den Bayreuther Festspielen läuft. Bei ihm sind Gurnemanz, Amfortas und seine Mannen Ordensleute einer christlichen Kirche in Nahost, die sich sozial engagieren, "Rettungswerke" tun, wie es in Wagners Libretto heißt. Natürlich haben sie auch Probleme, huldigen z.B. einem merkwürdigen Kreuzeskult. Aber im Prinzip sind die Gralsritter dort erst einmal aufrichtige Zeitgenossen. Zugegebenermaßen bin ich befangen, denn ich war an dieser Bayreuther Inszenierung als Dramaturg beteiligt.

Die bildliche und szenische Beanstandung der Gralsritter als Sekte, wie sie Richard Jones betreibt, ist aber wohlfeil und nicht besonders differenziert gedacht, auch dass Gurnemanz die ganze Zeit einen griesgrämigen, frustrierten Aufseher gibt, den Günther Groissböck zwar schön singt, aber sich sichtbar unwohl fühlt. Peter Mattei macht aus dem Amfortas immerhin einen gebrochenen Helden. Vielleicht hat er gegen das Regime seines Vaters Titurel aufbegehrt und wird nun von seinen Untertanen gepeinigt. Er ist, obwohl schrecklich verwundet, der einzige kraftvolle Mensch auf der Bühne, dessen Blutspur die Ritter die ganze Zeit aufwischen.

Andreas Schager (Parsifal) und Anja Kampe (Kundry im 2. Aufzug von "Parsifal"

Andreas Schager (Parsifal) und Anja Kampe (Kundry im 2. Aufzug von "Parsifal"

Anja Kampe als Kundry ist oft unterfordert, nicht nur weil Regisseur Jones immer dann, wenn sie eigentlich in eine andere Welt tauschen soll und ihr Zwitterwesen offenbart, sie einfach nur unter einer herumstehenden Bank platziert. Andererseits überfordert, denn ihr fehlt zu einem richtigen Verführungsgesang im zweiten Aufzug die stimmliche Beweglichkeit, und sie traut sich auch nicht richtig, obwohl Jones sie bis auf einen schwarzen Unterrock entkleidet hat, sich an den Jüngling Parsifal ranzumachen. Diese zentrale Szene ist trotz schwarzer Bühne und Spotlight von oben reichlich unerotisch, denn Andreas Schagers Parsifal ist in seinen Shorts und rotem Pulli einer Kasperlfigur. Nur einmal, wenn er nach dem Kuss der Kundry seinen Schrei "Amfortas! Die Wunde" schmettert, vernimmt man so etwas wie pubertäre Empörung.

ULTZ, so nennt sich der Ausstatter, hat für die riesige Bühne der Pariser Opéra Bastille ein monströses, überfrachtetes Bühnenbild geschaffen, das aus fünf Schauplätzen besteht, die mal von links, mal von rechts über die Seitenbühnen hereingefahren werden. Da ist ein Brunnen mit besagter Büste, ein Speisesaal mit angeschlossener Küche, auf zwei Stockwerken die Schlafgemache von Titurel und Amfortas, eine Sakristei und eine Chorgalerie. Die Blumenmädchen im zweiten Aufzug stellen Züchtungen des Genmanipulators Klingsor dar, riesige Maiskolben, aus denen nackte Frauenkörper quellen, eine eindrucksvoll skurrile Ausdeutung des Zaubergartens, der dort laut Szenenbeschreibung zu sehen sein soll. Evgeny Nikitin singt den Klingsor energisch mit klarer Diktion, sieht aber aus wie ein Schrat, dem man eine Ritterkutte umgehängt hat.

Der Pariser GMD Philippe Jordan lässt sich von derlei Ungereimtheiten nicht irritieren. Er dirigiert "Parsifal" im zügigen Tempo in unter 4 Stunden durch. In den Rahmenakten werden die Klangflächen wie Blöcke geschichtet, der Statuarik der szenischen Anlage entsprechend. Im Mittelakt dagegen erzeugt Jordan durch eine agile, fast nervöse Agogik mehr Erotik, als auf der Bühne zwischen Kundry und Parsifal stattfindet.

Premiere: 27.04.2018, besuchte Vorstellung: 16.05.2018 noch bis zum 23.05.2018

Besetzung:
Amfortas: Peter Mattei
Gurnemanz: Günther Groissböck
Parsifal: Andreas Schager
Kundry: Anja Kampe
Klingsor: Evgeny Nikitin
Titurel: Reinhard Hagen
Zwei Gralsritter: Gianluca Zampieri, Luke Stoker
Vier Knappen: Alisa Jordheim, Megan Marino, Michael Smallwood, Franz Gürtelschmied
Klingsors Zaubermädchen: Anna Siminska, Katharina Melnikova, Samantha Gossard, Tamara Banješevič, Anna Palimina, Marie‑Luise Dressen
Eine Altstimme aus der Höhe: Daniela Entcheva

Chor und Orchester der L'Opéra National de Paris

Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Inszenierung: Richard Jones
Bühne und Kostüme: ULTZ
Choreographie: Lucy Burges
Choreinstudierung: José Luis Basso