"Die Meistersinger von Nürnberg", 3. Aufzug bei den Bayreuther Festspielen

28.07.2019 – Wagner, "Die Meistersinger von Nürnberg" bei den Bayreuther Festspielen 2019

Stand: 28.07.2019, 13:50 Uhr

Barrie Koskys Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ hat in ihrer Mischung aus Komödie und zeitgeschichtlicher Mahnung das Potenzial in die Festspielgeschichte einzugehen. Die Zunft der drolligen Meistersinger mit Perücken und historischer Bürgertracht klamaukt sich durch die Oper, doch gleichzeitig wird gegen Beckmesser ein regelrechtes Pogrom durchgeführt. Auf der Festwiese geht es erst zu wie auf einem Mittelaltermarkt, wenig später richtet Sachs seine Ansprache mit den national gefärbten Tönen auf leerer Bühne an das Bayreuther Publikum.

Weitere Schauplätze sind - statt Katharinenkirche - Wagners Villa Wahnfried, in der Franz Liszt und der jüdische Dirigent Levi zu Gast sind, der später zum Beckmesser sich wandelt und vorher in der Villa nur geduldet wird. Ab dem zweiten Aufzug befindet man im Saal der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse.

Aber diese Verschränkung von Fröhlichkeit und Erschrecken würde nicht funktionieren, hätte Barrie Kosky die Sänger und Darsteller nicht dazu. Da war bei der zweiten Wiederaufnahme nach der Premiere 2017 eine Riege von Wagner-Sängern versammelt, die man in vielen anderen Produktionen in Bayreuth oder anderswo erlebt hat und die trotzdem dieser Produktion ihren spezifischen Charakter verleihen. Etwas, was eben gute Sängerdarsteller können.

Michael Volle stellt uns einen Hans Sachs vor, der wie ein empathisch reflektierter Mann von heute wirkt, komplett im Gegensatz zu seinen puppenartigen Meistersingerkollegen. Dieser Sachs hat nichts Künstliches und geht einem deswegen nahe, in seinem so verständlichen Wutausbruch, als er Eva endgültig an Stolzing gibt, im Wahnmonolog, der so gar nichts Philosophisches hatte, sondern bei Volle eine Art von gerade noch gezügeltem Weltschmerz. Michael Volle dosierte seine Kräfte, manchmal war es fast mehr Schauspiel als Singen, aber das tat seiner Darstellung keinerlei Abbruch, weil er, wenn es darauf ankam, natürlich die Reserven hatte, seine Stimme ganz tönen zu lassen. Er ist inzwischen so sehr die Figur des Hans Sachs, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass er in der Bayreuther-Vorgängerproduktion der „Meistersinger“ von Katharina Wagner noch den Beckmesser als einen avantgardistischen Kunstrevolutionär vorgeführt hat.

Diese Chance hat Johannes Martin Kränzle in der aktuellen Inszenierung nicht, da Barrie Kosky erklärtermaßen den Antisemitismus in den "Meistersingern" freilegen will. Den erkennt er in der Figur des Beckmesser und macht sie zum Opfer. Aber da auch Kränzle ein großer Künstler ist und immer prägnant singt, ist er keine lächerliche Figur und erweckt nicht nur Mitleid, sondern auch Sympathie, denn er vermittelt, dass es so wie ihm uns allen ergehen könnte. Mit seinem beweglichen Bariton ist er bei Wagner auf zwiespältige Rollen festgelegt, wie Alberich, Amfortas, Gunther oder Klingsor. Kränzles Figuren wirken nie finster, sondern strahlen immer Intelligenz aus, beim Don Alfonso in Mozarts „Così fan tutte“ genauso wie bei der Figur des Valens in Händels Oratorium „Theodora“ oder der Titelfigur in Wolfgang Rihms „Dionysos“, also alles vom Barock bis zur Avantgarde, und das merkt man bei ihm auch bei Wagner.

Der Bayreuther Heldentenor par excellence ist zur Zeit Klaus Florian Vogt, aber nicht für alle Partien. Siegfried, und Tannhäuser gehören nicht zu seinem Repertoire, wohl aber Lohengrin, Parsifal und den Stolzing. Seit 2007 prägt er mit seinem charakteristischen silbrigen Klang seiner Stimme so sehr die Figuren Lohengrin und Stolzing, die er beide in diesem Jahr in Bayreuth verkörpert, dass man sich diese Rollen schon gar nicht mehr anders vorstellen kann. Er macht aus dem Ritter Stolzing einen jungen Mann, aber keinen jugendlichen Helden. Er singt so unangestrengt, dass man ihm abnimmt, dass er zwar an Eva, der Tochter des Goldschmieds ein ehrliches Interesse hat, aber kein bisschen an dem Drumherum, ganz anders, als Michel Volle seinen Hans Sachs vorstellt. Dieser Stolzing ist ein Mensch ohne Brüche, einer der immer lächelt oder höchstens sich verwundert gibt. Bei jedem anderen Sänger würde das eindimensional wirken. Aber Klaus Florian Vogt ist einfach so sehr Wagner-Tenor durch und durch, singt so textverständlich und so sauber, dass man ihn aus den beiden genannten Opern nicht wegdenken mag.

Ganz anders als Camilla Nylund, Vogts Partnerin im "Lohengrin" wie in den "Meistersingern" als Elsa und als Eva. Alle wichtigen Partien des dramatischen Sopranfachs hat sie gesungen an den größten Opernhäusern. In Bayreuth war sie 2011 die Elisabeth in der verunglückten „Tannhäuser“-Inszenierung von Sebastian Baumgarten. Die hauptsächliche Erinnerung daran ist, wie sie von Wolfram in den Tank einer Biogasanlage gedrängt wurde. 2017 war sie in Bayreuth einmal als Sieglinge zu hören. Bei der Elsa im "Lohengrin" hatte sie massive Schwierigkeiten (siehe WDR 3 Opernblog 27.07.2019). Die Partie der Eva meisterte sie dagegen ohne Probleme, aber auch ohne besondere Prägung, was ja auch schwierig ist, denn die Eva ist die blasseste aller Frauenfiguren bei Wagner.

Im dritten Aufzug merkte man dem Dirigenten Philippe Jordan die Lust an, mit der er das Orchester zum Reden zu brachte. Vor dem Auftritt Beckmessers, als er Werbelied aus der Schusterstube an sich nimmt, hört man im Orchester ein Gellen, Kratzen und Kreischen, im Vorspiel ein musikalisches Landschaftspanorama, kein Drama und unter das Quintett „Selig, wie die Sonne“ legte er einen Garten an Instrumentalklängen an, die sonst immer wie weggedrückt wirken. Und das bei blitzsauberer Intonation der Solisten, auch das eine Seltenheit.

Premiere der Wiederaufnahme: 28.07.2019

Besetzung:
Hans Sachs: Michael Volle
Veit Pogner: Günther Groissböck
Kunz Vogelgesang: Tansel Akzeybek
Konrad Nachtigall: Armin Kolarczyk
Sixtus Beckmesser: Johannes Martin Kränzle
Fritz Kothner: Daniel Schmutzhard
Balthasar Zorn: Paul Kaufmann
Ulrich Eisslinger: Christopher Kaplan
Augustin Moser: Stefan Heibach
Hermann Ortel: Ralf Lukas
Hans Schwarz: Andreas Hörl
Hans Foltz: Timo Riihonen
Walther von Stolzing: Klaus Florian Vogt
David: Daniel Behle
Eva: Camilla Nylund
Ein Nachtwächter: Wilhelm Schwinghammer

Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele

Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühne: Rebecca Ringst
Kostüme: Klaus Bruns
Licht: Frank Evin
Video: Regine Freise
Dramaturgie: Ulrich Lenz
Choreinstudierung: Eberhard Friedrich