Live hören
Jetzt läuft: Gabriel Fauré - 3 Mélodies, op. 23

02.08.2022 – Wagner, „Die Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen

Stand: 02.08.2022, 09:30 Uhr

Wie schon im „Rheingold“ verhedderte sich der Regisseur Valentin Schwarz auch in der „Walküre“ im Netz seiner Assoziationen und Umdeutungen. Bei ihm ist Sieglinde schon am Anfang hochschwanger, von wem weiß man nicht. Es gibt hier keine inzestuöse Handlung. Die Liebesbegegnung zwischen Siegmund und Sieglinde bei „Winterstürme wichen dem Wonnemond“, übrigens von Klaus Florian Vogt wunderbar zurückgenommen wie ein Schubert-Lied gesungen, wird in dieser Inszenierung zu einer Erinnerung an gemeinsame Kindheitstage.

Dazu findet mitten im ersten Aufzug ein aufwändiger Bühnenbildwechsel statt, sodass sich die beiden plötzlich im Obergeschoss der Villa Wotans, die man schon im „Rheingold“ gesehen hat, wiederfinden. Aber welcher Art diese Kindheitserinnerungen sind, bleibt unklar, denn der Regisseur lässt das Geschwisterpaar mehr oder weniger unentschlossen agieren. Eher war es noch Sieglinde, gesungen von Lise Davidsen, die in „Siegmund nenn ich Dich“ mit ihrem glühenden Stimmstrom Leidenschaft erkennen ließ. Sex aber gab es keinen zwischen den beiden. Was übrigens krass dem widerspricht, was Fricka und Wotan im zweiten Aufzug besprechen und letztlich der Grund dafür ist, dass Siegmund „fallen“ muss.

Aber wer ist nun der Vater? Ist es doch Wotan, der sich im 3. Aufzug Sieglinde nähert, ihr den Slip herunterzieht und sie (wie früher schon einmal?) sexuell bedrängt? Man weiß es nicht. Sollte das einer jener Cliffhanger sein, mit denen Valentin Schwarz die Spannung über die vier Teile des Opernzyklus‘ erhalten will? Und gehören auch die sich immer wieder wirklich weit vom Libretto entfernenden Assoziationsketten dazu, z. B. dass der Glaskasten mit dem Pyramidenmodell mal als Symbol für Walhall, mal da als das Schwert Nothung auftaucht, bzw. die Pistole, die darin verborgen ist. Und dann ist da im 2. Aufzug noch die erfundene Begräbnisszene von Freia, die, wie aus den Begleitmaterialien zu dieser Inszenierung zu erfahren ist, das Trauma ihrer Entführung durch die Riesen im „Rheingold“ nicht überlebt hat.

Und so geht es an allen Ecken und Enden munter weiter, mal ganz und gar abwegig, mal durchaus plausibel, wie am Schluss der Oper beim Abschied Wotans von Brünnhilde, als Fricka – überzeugend gespielt aber wenig textverständlich und wenig beweglich gesungen von Christa Mayer – mit einem Barwagen in die Szene tritt und mit Wotan auf das Gelingen ihres Plans anstoßen will, dieser sich mit Abscheu abwendet und nur eine kleine Kerze lodert anstatt des großen Feuers, das Brünnhilde umfangen soll.

Dieser Wotan war übrigens der zweite in dieser Inszenierung, nachdem im 2. Aufzug Tomasz Konieczny sich auf einem zusammenbrechenden Designersessel niedergelassen hatte und sich so schwer verletzte, dass er im 3. Aufzug nicht weitertun konnte. Michael Kupfer-Radecky stand als Cover für Gesang und Spiel parat, dem eine große Anerkennung für diese Ad-hoc-Leistung gebührt. Die beiden „Wotane“ waren sich übrigens im Stimmtimbre durchaus ähnlich: volltönend mit respektablen Klangreserven und dem Willen zum musikalisch-szenischen Agieren. Was auch für Iréne Theorin als Brünnhilde gilt, die man in ein Westernoutfit gesteckt hatte, was wohl ihre Unkonventionalität zeigen sollte. Im langen Dialog mit Wotan im 2. Aufzug ließ sie sich auf eine Art reflektierten Dialog ein, eine neue Facette ihrer sonst eher zum großen Ton und zum schneidenden Klang tendierenden Stimme.

Die Walküren im 3. Aufzug, in: „Die Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen 2022

Die Walküren im 3. Aufzug, in: „Die Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen 2022

Dann wären da noch die Walküren, die als arg lädierte, bandagierte Patientinnen im Warteraum einer Schönheitsklinik vorgeführt werden. Und Siegmunds Widersacher Hunding, ein Angestellter von Wotan, der in seiner bescheidenen Hütte die von der umstürzenden Esche ausgefallene Elektrik zu reparieren versucht und, so wie ihn der phänomenale Georg Zeppenfeld spielt und singt, kein roher Gewaltmensch ist, sondern seine Aversionen gegen Siegmund sorgfältig bedenkt.

Grandios an diesem Abend Cornelius Meister mit dem „anderen“ Orchester der Bayreuther Festspiele, dem anderen, weil es wegen Corona-Gefahren zwei komplette Orchesterbesetzungen gibt, die sich abwechseln. Und so darf man rätseln, ob dieses Plus an Klangreichtum gegenüber dem „Rheingold“, an motivischer Differenziertheit, auch an symphonischer Großformatigkeit in den Zwischenspielen und der - wo erforderlich - sofortigen Rückkehr zum fast generalbassartigen Begleiten, namentlich in dem von Klaus Florian Vogt, Lise Davidsen und Georg Zeppenfeld wunderbar musizierten 1. Aufzug, eine Leistung vorrangig des Dirigenten oder doch der beteiligten Musiker war.

Premiere: 01.08.2022

Besetzung:
Siegmund: Klaus Florian Vogt
Hunding: Georg Zeppenfeld
Wotan: Tomasz Konieczny und Michael Kupfer-Radecky
Sieglinde: Lise Davidsen
Brünnhilde: Iréne Theorin
Fricka: Christa Mayer
u.v.a.

Orchester der Bayreuther Festspiele

Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Regie: Valentin Schwarz
Bühne: Andrea Cozzi
Kostüm: Andy Besuch
Dramaturgie: Konrad Kuhn
Licht: Reinhard Traub