07.12.2022 – Vivaldi, "Il Giustino" an der Staatsoper Berlin
Stand: 07.12.2022, 09:30 Uhr
Barockopern auf die Bühne zu bringen, hat auch heute noch immer etwas von einem Experiment, ganz einfach deswegen, weil extrem viele künstlerische Entscheidungen zu treffen sind. Es ist nicht die Rede von Barockklassikern wie Händels "Serse" oder Monteverdis "Orfeo", sondern von dem gänzlich unbekannten 5-Stunden Opus "Il Giustino" des scheinbar so bekannten Komponisten der "Vier Jahreszeiten", dessen "Il primavera" übrigens in einer Arie auftaucht. In Wirklichkeit ist aber der Vivaldi mit seinen rund 50 Opern noch zu entdecken, obwohl seit Jahren die verdienstvolle Edition bei dem Label Naïve erscheint. Auf den Bühnen allerdings gibt es Vivaldi fast nie.
René Jacobs, der seit 30 Jahren an der Berliner Staatsoper die Barockreihe betreut, begreift sich aber nicht als Notar oder Archivar von Vivaldi: Er bringt "Il Giustino" nicht in einer Fassung "letzter Hand" auf die Bühne, die es wahrscheinlich sowieso nicht gibt. Indem er kürzt, hier und da arrangiert und auch gelegentlich etwas hinzufügt, handelt er nicht anders als ein Kapellmeister im Barockzeitalter. So ist bei ihm "Il Giustino" auf eine Spieldauer von ca. 3 Stunden geschrumpft. Normalerweise erreicht man das durch das Streichen von Rezitativen. Jacobs war da aber vorsichtig. Die Rezitative von Vivaldi seien außergewöhnlich gut und notwendig, um die komplizierte Handlung zu verstehen. Daher sind 11 Arien ganz weggefallen und die verbliebenen hat er meistens gekürzt. Das ist nun allerdings ein diskussionswürdiger Punkt, denn es waren die ungekürzten Arien, die in der Staatsoper die größte Wirkung entfalten, wie jene Nummer in der der Countertenor Christophe Dumaux als Giustino sich selbst seines ungebrochenen Kampfesmutes versichert und auf anmutige Weise von den Sphärenklängen eines Salterio begleitet wird oder Arianna, die Kaiserin von Byzanz, die nach ihrer Gefangennahme durch Vitaliano ihre standhafte Treue bekundet, in sanften, ausschwingenden Linien von Kateryna Kasper in einem wunderschönen Stimmtimbre dargeboten.
Dieser Vitaliano gönnt dem Kaiserpaar Arianna und Anastasio ihr Glück nicht, so dass es zum Krieg kommt, bei dem Giustino mehrfach rettend zu Hilfe kommt. Er ist eigentlich ein Bauer, fühlt sich aber zu Höherem berufen. Eine der von ihm Geretteten ist Leocaste (in quirliger Präsenz Robin Johannsen) mit der Folge, dass sie sich ineinander verlieben. Und die Dankbarkeit, die auf der anderen Seite die Kaiserin Giustino gegenüber empfindet, missdeutet Anastasio als Untreue, angestachelt durch den intriganten Amanzio, spielfreudig und mit beweglicher Stimme gesungen von Olivia Vermeulen. Den Kaiser gibt der Countertenor Raffaele Pe als selbstmitleidigen Schwächling, der gesanglich immer dann brilliert, wenn er warme Pianotöne von sich geben kann.
Die Regisseurin Barbora Horáková und ihr Team haben dieses Spektakel als eine Mischung aus Slapstickkomödie, Kostümshow und Experimentalbühne angelegt. Das Ganze wirkt ein bisschen wie ein Stegreiftheater, was eigentlich nicht gegen das Genre steht, aber doch die Fokussierung auf die schönen Musiknummern erschwert. Man bekommt aber trotzdem mit, worum es geht, so dass am Schluss eines dann doch langen Abends großer Jubel steht
Besuchte Vorstellung: 06.12.2022, Premiere: 20.11.2022
Besetzung:
Anastasio: Raffael Pe
Arianna: Kateryna Kasper
Giustino: Christophe Dumaux
Leocaste: Robin Johannsen
Vitaliano: Siyabonga Maqungo
Andronico: Helena Rasker
Amanzio: Fortuna: Olivia Vermeulen
Polidarte: Magnus Dietrich
Staatsopernchor
Akademie für Alte Musik Berlin
Musikalische Leitung: René Jacobs
Inszenierung: Barbora Horáková
Bühnenbild: Thilo Ullrich
Kostüme: Eva-Maria Van Acker
Licht: Sascha Zauner
Choreinstudierung: Gerhard Polifka
Kommentartexte Szene: Martin Mutschler
Dramaturgie: Jana Beckmann