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13.08.2023 – Verdi, „Falstaff“ bei den Salzburger Festspielen

Stand: 13.08.2023, 09:30 Uhr

Gerald Finley ist kein typischer Falstaff. Dafür ist er zu schlank, zu drahtig, zu kultiviert in seiner Erscheinung. In der hellbraunen Arbeitsmontur, in den ihn die Ausstatterin Anna Viebrock gesteckt hat, wirkt er immer noch wie ein solider, vertrauenswürdiger Zeitgenosse. Er singt auch nicht, wie man sich einen Falstaff vorstellt. Seine Sentenzen über die Bedeutungslosigkeit der Ehre, klangen wie eine gutgemeinte, kantabel vorgetragene Belehrung, nicht wie ein Spottlied.

Aus sich heraus ging den ganzen Abend eigentlich nur Simon Keenlyside als Ford, der seine ungezügelte Wut darüber, dass Falstaff ihm seine Frau Alice ausspannen will, in donnernde Töne legte und in eine Raserei über die ganze Bühnenbreite des Festspielhauses, dabei in seinem grauen Anzug aber wie ein biederer, schlecht gekleideter Buchhalter aussah. Vorher schaute Mrs. Quickly bei Falstaff vorbei. Tanja Arina Baumgartner fädelte die Intrige ein, indem sie in ihre Stimme bei „Reverenza“ Bedeutungsschwere legte, als wäre sie eine Erda und Falstaff ein Wotan.

Die anderen Rollen, sei es Bogdan Volkov als Fenton mit seinem Tenor-Sonett im 3. Akt, sei es Giulia Semenzato als Nanetta oder auch Elena Stikhina als Alice Ford, sie alle agierten im Korsett von Ingo Metzmachers musikalischer und Christoph Marthalers szenische Leitung, die beide auf ihre Weise den Figuren kaum Entfaltungsmöglichkeiten einräumten. Metzmacher, weil er ständig irgendwie damit zu tun hatte, den Tonsatz von Verdis letzter Partitur zu buchstabieren, dabei zwar immer wieder musikalische Erkenntnisse zutage förderte, weil die Wiener Philharmoniker in der Tat deutlich spielten, aber darüber den dramatisch-komödiantischen Fluss vergaß. Ja selbst die Schlussfuge „Tutto nel mondo è burla“ klang abgezirkelt, ohne Schwung wie ein klingendes Notenblatt.

Eingezwängt waren die Darsteller vor allem aber durch Marthalers Regie, der die fixe Idee hatte, Verdi mit Orson Welles zu konfrontieren, der in den 60er-Jahren seinen berühmten Falstafffilm abdrehte und selbst der Hauptdarsteller war. Bei Marthaler taucht nun ein Falstaff-Alter-Ego auf, den Zügen von Welles nachempfunden und führt auf der Festspielhausbühne den ganzen Abend die Regie durch pantomimische Bewegungen. Das wirkte weder verfremdet, noch hintergründig, sondern einfach nur banal.

Szene aus dem 3. Akt von Verdis „Falstaff“ bei den Salzburger Festspielen 2023

Szene aus dem 3. Akt von Verdis „Falstaff“ bei den Salzburger Festspielen 2023

Eingezwängt wurden die Darsteller aber auch durch die Ausstattungswut von Viebrock, die sich genötigt sah, die ganze Bühne in Form eines Triptychons vollzustellen, und alles im hellen Licht zu zeigen, selbst die Mitternachtsszene: nämlich links ein kleiner Kinosaal, in der Mitte ein Filmset und rechts einen Bungalow mit Swimmingpool (die Themse) sowie noch im Hintergrund aufeinandergetürmte Felsen, dazu jede Menge Requisiten aus der Filmbranche sowie Gestelle, Treppen, Gerüste und Liegestühle, so dass man vieles und nichts sah wie in einem Wimmelbild unschöner Gegenstände.

Dass Falstaff ein Ritter ist, wurde dem Publikum ganz am Schluss einmal kurz gezeigt, als die Orson Welles Figur, sich die Ritterrüstung aus dem echten Film anlegte, quer über die Bühne schreiten und einen einzigen Laut von sich geben durfte, dass berühmte „Tutti gabbati“ – „Alles Genarrte“. Genarrt waren vor allem die Menschen im Saal, weil konfrontiert mit einem dramaturgischen Hirngespinst, mit dem Verdis Komödie den Witz ausgetrieben wurde.

Premiere: 12.08.2023, noch bis zum 30.08.2023

Besetzung:
Sir John Falstaff: Gerald Finley
Ford: Simon Keenlyside Ford
Fenton: Bogdan Volkov
Dr. Cajus: Thomas Ebenstein
Bardolfo: Michael Colvin
Pistola: Jens Larsen
Mrs. Alice Ford: Elena Stikhina
Nannetta: Giulia Semenzato
Mrs. Quickly: Tanja Ariane Baumgartner
Mrs. Meg Page: Cecilia Molinar
Orson W.: Marc Bodnar
Robinia: Liliana Benini
First Assistant Director: Joaquin Abella

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker

Musikalische Leitung: Ingo Metzmacher
Regie: Christoph Marthaler
Bühne und Kostüme: Anna Viebrock
Licht: Sebastian Alphons
Dramaturgie: Malte Ubenauf
Choreinstudierung: Huw Rhys James