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05.05.2023 – Nicola Porpora „Il Polifemo“ in Wien

Stand: 05.05.2023, 09:30 Uhr

Nicola Porpora war ein berühmter Gesangslehrer im Neapel des 18. Jahrhunderts und sein berühmtester Zögling der Kastrat Farinelli. Der hat auch bei der Uraufführung von Porporas Oper „Il Polifemo“ 1735 in London die Hauptpartie des Aci gesungen. Porpora, der nach London gerufen wurde, um Händel Konkurrenz zu machen, richtete seine Opern komplett auf die Bedürfnisse der Gesangsstars aus, die Arien verlangten, mit denen sie ihre Stimmvirtuosität zeigen konnten.

Eine solche Nummer ist „Senti il fato“, in der Aci, als er nach seinem gewaltsamen Tod von Jupiter zum Gott erhoben wurde, seinem Mörder Polifemo entgegenschleudert, dass auf ihn der Abgrund warte. In diesem Stück, das fast 10 Minuten dauert, hatte Farinelli extreme Koloraturen zu singen, Sprünge von oben nach unten zu absolvieren, hohe und tiefe Töne gleichermaßen auszuhalten. In Wien schlüpfte der Countertenor Franco Fagioli in Farinellis Rolle. Diese Arie ist für jeden Countertenor eigentlich eine Zumutung, denn kein Sänger dieses Stimmfachs verfügt über den Ambitus, die Stimmkraft und Stimmbeweglichkeit der historischen Vorbilder. Countertenöre hat es in der italienischen Oper des 18. Jahrhunderts auch nie gegeben. Eher wurden die Partien von Frauen gesungen, wenn keine Kastraten zu Verfügung standen. Franco Fagioli meisterte die Partie dennoch. Er kann Koloraturen singen, er hat Kondition, aber vor allem eine Bühnenpräsenz, die ihm den Beifall sichert. Aber in dieser mörderischen Arie wechselte er auch immer wieder von der Kopfstimme in die Bruststimme, was merkwürdige Klangwechsel erzeugte, und insgesamt wirkte seine Stimme besonders in den schnellen Passagen eng und gepresst, woraus ein leicht meckernder Klang entstand.

Die Countertöne von heute können viel mehr als die der ersten Generation wie Alfred Deller oder Russel Oberlin, aber sind womöglich noch weit entfernt von dem, was das Publikum im 18. Jahrhundert bewunderte. Max Emanuel Cenčić hatte es in der Rolle des Ulisse einfacher oder machte es sich einfacher. Seinerzeit in London sang seine Partie der Kastrat Senesino, den man von Händels Opernkompanie angeworben hatte, der aber schon seinen Zenit überschritten hatte. Wie wahrscheinlich dieser glänzte Cenčić eher in den langsamen Stücken wie „Fortunate pecorelle“, wo sich seine Stimme in unangestrengter Weise sehr schön mit den Hörnern und den Traversflöten mischte.

Der dritte Star der Londoner Uraufführung war die Sopranistn Francesca Cuzzoni. Eine ihr in jeder Hinsicht würdige Nachfolgeinnen ist Julia Lezhneva in der Rolle der Galatea, die jede ihrer Arie regelrecht zelebrierte, besonders aber „Smanie d’affanno“, in der sie sich ihrem Schmerz über den Tod von Aci hingibt, in ihre Stimme ein kunstvolles Seufzen und Wehen legte und die hier langsames Koloraturen in schönen Bögen gestaltete und dabei eine andere Art von Virtuosität zeigte als in den par force Arien.

Die Titelpartie des Polifemo hat Porpora für einen Bass geschrieben. Sreten Manojlović machte seine Sache gut, klang aber insgesamt etwas gaumig und nicht sehr beweglich. Von Sonja Runje als Calipso hätte man gerne mehr als die in exakter rhythmischer Präzision zusammen mit dem Orchester ablaufende Arie „Il gioir qualor s’aspetta“ gehört, denn sie hat einen volltönenden dunklen Mezzosopran, der das Klangeschehen um eine interessante Facette bereicherte. Leider wurden etliche ihrer Nummern gestrichen. Als Nerea machte Rinnat Moriah in ihrer einzigen Arie an diesem Abend mit ihrer kristallinen soubrettenartigen Stimme einen sympathischen Eindruck.

Schlussapplaus zu "Il Polifemo" im Museumsquartier Wien

Schlussapplaus zu "Il Polifemo" im Museumsquartier Wien

George Petrou und das Ensemble Armonia Atenea nahmen ihre Rolle als Begleitorchester an. Die Balance zwischen Bühne und Graben stimmte in der Ausweichspielstätte im Museumsquartier, und die Musiker folgten den Solisten flexibel. Hinzu kamen ein bemerkenswertes Oboensolo in einer der Arien von Aci, sowie an vielen Stellen klangbereichende Flöten, Hörner und Trompeten.

Schwer zu sagen, wessen Aufgabe es gewesen wäre, aber vielleicht doch die des Dirigenten: Er hätte den Sängern Einhalt gebieten müssen bei den meist sehr ausschweifenden und sehr frei gestalteten Kadenzen in den Arien, die nicht nur einen kleinen Schlussakzent setzten, sondern sich in der Stilistik oft sehr weit von dem entfernten, was der Komponist Porpora aufgeschrieben hat. Das war oft fast schon eine Art Crossover.

Konzertante Aufführung am 04.05.2023, szenisch in Wiesbaden am 27.05.2023

Besetzung:
Aci: Franco Fagioli
Galatea: Julia Lezhneva
Ulisse: Max Emanuel Cenčić
Polifemo: Sreten Manojlović
Calipso: Sonja Runje
Nerea: Rinnat Moriah

Armonia Atenea
George Petrou