10.06.2019 – Offenbach, „Die Großherzogin von Gerolstein“ in Köln
Stand: 10.06.2019, 13:50 Uhr
Das war der Höhepunkt der Kölner Offenbachfeiern zum 200. Geburtstag des Komponisten: eine pompöse Neuproduktion der Opéra–bouffe „Die Großherzogin von Gerolstein“. Ganz so pompös wie damals bei der Uraufführung 1867, als die europäischen Herrscher wegen der Weltausstellung in Paris waren und alle unbedingt das Stück sehen wollten, von Wilhelm I. bis zum Zaren, ging es im Staatenhaus auf der anderen Rheinseite nicht zu. Viel Stadtprominenz war da, der Generalmusikdirektor François–Xavier Roth dirigierte höchstpersönlich, und das Ganze läuft auch am 23. Juni im Kulturradio WDR 3.
Reden wir hier nicht weiter von den Unzulänglichkeiten dieser Hervorbringung, von den ungelenken deutschen Dialogen, die Offenbachs turbulente Musik immer wieder auf die Standspur zwängten, von den wohlfeilen Sottisen auf die Kölsche Klüngelmentalität, von der miserablen Akustik, die das prickelnde Resultat des musikalischen Gärprozesses wie aus einer offenen Champagnerflasche entweichen ließ, von dem derben Slapstick auf der Bühne gegen den das Millowitsch-Theater im Rückblick wie ein Hort der Bühnenkunst wirken musste.
Sprechen wir lieber von dem Gelungenen. Wie es der Musikdirektor Roth immer wieder schaffte, den Nerv der Musik zu treffen, z. B. im Finale des 1. Akts mit dem grotesken Säbel-Lied der Großherzogin („Voici le sabre de mon père“), das in seiner mechanischen Wiederholungspenetranz und dem übertriebenen Pathos einen mutwilligen Sarkasmus erzeugte, man könnte auch sagen: musikalischen Slapstick, aber anders als auf der Bühne mit Könnerschaft und Sinn für Timing. Oder die „Couplets de la plume“, in denen sich die Großerherzogin weigert, den Ehevertrag zwischen Fritz und Wanda zu unterschreiben. Das sang Jennifer Larmore wie mit spitzer Feder („La plume“) gestochen präzis im Mezzoforte, und das Orchester ließ dazu im Stacctato-Duktus schöne instrumentale Einwürfe von allen Seiten sprießen. Das funktionierte, weil Tempo und Dynamik an dieser Stelle prima ausbalanciert waren. Schließlich der Entracte als Pferdegalopp im 3. Akt, der mit unglaublicher Rasanz dahinwirbelte. Auf der Bühne sah man dazu die Balletttruppe als Jockeys in komischen Pferdekostümen hoppeln, was einen der wenigen Szenenapplause an diesem Abend bescherte. Schön waren auch die opulenten Kostüme und die Bühne, die im ersten Akt das Camp der Ökoaktivisten im Hambacher Forst darstellte.
Offenbach "Die Großherzogin von Gerolstein", 1. Akt im Kölner Staatenhaus
Damit wäre man bei der bemerkenswerten Dramaturgie des Abends. Natürlich muss sich jeder Regisseur und Ausstatter überlegen, wie er den Zeitgeist des Stücks ins Heute transportiert. Das war zu Offenbachs Zeiten offenbar der zur Schau gestellte Hang zum Pompösen und zur militärischen Attitüde („J’aime les militaires“ singt die Großherzogin). Man veranstaltete einen Feldzug, den der General Boum aber vorsichtshalber so anlegen wollte, dass es zu keinem Kampf kommt. In der Kölner Produktion von Renaud Doucet und André Barbe sind die Soldaten zu Ökoaktivisten geworden mit dem Rastalocken tragenden Oberfreak Fritz an der Spitze, an dem die Großherzogin einen Narren gefressen hat. Den Ökos kommt es aber mehr auf Camping an, die Parolen-Plakate sind mehr Accessoires eines Lebensstils als politischer Ernst, so sinnlos wie besagter Säbel. Wenn man will, kann man darin ablesen, dass, wie damals das lächerlich Soldatische, heute die Ökomoral zum Selbstbetätigungszweck tendiert, so wie neulich in der „Zeit“ Thomas E. Schmidt der grünen Bewegung einen Hang zum „bequemen und elitären Lebensstil“ attestierte. Wenn das zu zeigen, die Absicht dieser Inszenierung war: Hut ab davor, sich auf diese Weise – durchaus im Offenbachschen Geist – die herrschende Zeitgeist-Moral vorzuknöpfen. Aber auf der Bühne sah das leider alles irgendwie doch sehr harmlos aus.
Vielleicht hätten sie sich einmal den glänzenden Aufsatz des Dramaturgen Georg Kehren im Programmbuch zu Gemüte führen können, in dem anhand einer Fülle von Zeitzeugnissen eine detaillierte und liebevolle Sozialgeschichte am Beispiel der jüdischen Kölner Familie Offenbach ausgebreitet wird. Da hätte es mit etwas Nachdenken ernstere und hintergründigere Anknüpfungspunkte zu Hauf gegeben, auch mit grotesken Volten.
Premiere: 09.06.2019, noch bis zum 12.07.2019
Kulturadio WDR 3 am Sonntag, 23.06.2019 um 20.04 Uhr
Besetzung:
Die Großherzogin: Jennifer Larmore
Wanda: Emily Hindrichs
Fritz: Dino Lüthy
Baron Puck: Miljenko Turk
Prinz Paul: John Heuzenroeder
General Boum: Vincent Le Texier
Baron Grog: Nicolas Legoux
u.va.
Tänzerinnen und Tänzer
Chor der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Musikalische Leitung: François-Xavier Roth
Inszenierung: Renaud Doucet
Bühne & Kostüme: André Barbe
Licht: Andreas Grüter:
Choreografie Cécile Chaduteau
Chorleitung: Rustam Samedov
Dramaturgie: Georg Kehren