Sabine Devieilhe als Susanna im 4. Akt von „Le nozze di Figaro“

12.08.2023 – Mozart, „Le nozze di Figaro“ bei den Salzburger Festspielen

Stand: 12.08.2023, 09:30 Uhr

Mozarts drei Opern auf Texte von Lorenzo da Ponte sind philosophische Lehrstücke über das Wesen des Eros in Theaterform. Bei „Don Giovanni“ und „Così fan tutte“ ist das offensichtlich. „Le nozze di Figaro“ wird dagegen oft als aufklärerisches Politikstück gezeigt, nämlich dass der bürgerliche Stand gegen die Privilegien des Adels aufbegehrt. Martin Kušej, derzeitiger Direktor des Burgtheaters, hat bei seiner Neuinszenierung für die Salzburger Festspielen das Stück radikal in die Sphäre des Erotischen und die damit verbundenen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern zurückgeführt. Gezeigt wird, wie Frauen mit Männern umgehen, die glauben, sie besitzen zu können, was ja an vielen Stellen der Oper durchschimmert, etwa wenn der Graf sich rasend eifersüchtig gebärdet, zugleich aber Liebesverhältnisse mit der größten Selbstverständlichkeit pflegt.

Die Figur, die die Männerdominanz am meisten gefährdet, ist nicht etwa die Figaros schlaue Braut Susanna, nicht die Gräfin in ihrem großen Schmerz und ihrer Größe im Verzeihen. Es ist die schillernde, geschlechtlich nicht fixierbare Person des Cherubino. Die Salzburger Produktion rückt ihn musikalisch und szenisch in den Mittelpunkt. Insofern hat Kušej aus „Figaros Hochzeit“ auch kein krudes Feminismus-Stück gemacht. Cherubino hat nur zwei kurze Arien. Spätestens mit der zweiten „Voi che sapete“, wunderbar gesungen von Lea Desandre mit einer Mischung aus jugendlichem Elan und milder Begehrlichkeit, wird klar, dass er das erotische Zentrum ist. Diese Szene, in der Cherubino zur Frau verkleidet werden soll, ist brillant inszeniert, weil Adriana Gonzáles als Gräfin und Sabine Devieilhe als Susanna sich zum Fluss der Musik der zärtlichen Situation einfach hingeben, die das Orchester unter Leitung von Raphaël Pichon in pastellenen Farben mit dem betörenden Klarinettenklang, dem Streicherpizzicato und Oboentupfern ausmalt.

Klar, dass die Männer, der Graf und Figaro, gegen so etwas sein müssen. So ist Arie “Non più andrai“ am Ende des 1. Akts, nachdem Cherubino zum Militär geschickt wird, kein Spottlied, sondern die Inszenierung zeigt einen brutalen, fast schon sadistischen Figaro, der den Knaben blutig schlägt. Krzysztof Bączyk mischt durch sein abgedunkeltes Timbre dieser Figur, bei aller gesanglichen Souveränität, eine Spur von Bedrohlichkeit aber auch Einfältigkeit bei. Diese zeigt sich im 4. Akt, als Susanna ihre gespielte Sehnsuchtsarie „Deh vieni“ im Garten singt, er sich hinter ihr wie ein Scheinriese aufbaut und nichts versteht außer seiner Eifersucht.

In dieser langsamen Arie, wie auch in den beiden der Gräfin lässt der Regisseur sein Bewegungstheater zum Stillstand kommen, damit die Musik fließen kann. Adriana Gonzáles als Gräfin zeigt ihre Trauer ohne jedes Schluchzen mit warmen Tönen und sorgsam gestalteten Phrasen, so dass sich auch eine Art von Weisheit mitteilt. Es stört auch nicht, dass sie bei „Porgi, amor“ zu Beginn des 2. Akt neben Gustave Corbets Gemälde „L’origine du monde“ steht, das eine entblößte Vulva zeigt, und im Nebenraum eine nackte Frau auf dem Badenwannenrand sitzt und den Rücken zuikeht, wie in Dalís Bild „Ma femma Nue“.

Kušej will auf solche assoziativen Fingerzeige nicht verzichten. Das hat er auch bei seiner Salzburger „Don Giovanni“-Inszenierung 2002 (bei der Anna Netrebko entdeckt wurde) nicht getan. Er und seine Ausstatter, Raimund Orfeo Voigt (Bühne) und Alan Hranitelj (Kostüme) verorten das Geschehen im Hier und heute in einer Art Hotelanlage, in der man den Grafen als eine Art Clanboss identifizieren kann, der ständig mit Pistolen herumfuchtelt. Andrè Schuen übertreibt es aber mit der Sex and Crime Kolportage nicht. Er bleibt in seinem Singen elegant und von kontrollierter Wut, bis er am Schluss bei „Contessa, perdono“ im extrem langsamen Tempo, die Silben herausstoßend in seiner Gebrochenheit sogar Sympathien auf sich ziehen kann.

Unter Raphaël Pichon spielen die Wiener Philharmoniker wie das beste Originalklangorchester, das man sich denken kann. Jede einzelne Instrumentengruppe ist entsprechend ihrem satztechnischen Gewicht immer vernehmbar, wird zur flexiblen Tempogestaltung angeleitet und manchmal in eine gewagte Klangkonstruktion gestellt wie am Schluss, wo nach dem Kotau des Grafen, ein „lieta marcia“ (ein lustiger Marsch) angestimmt wird, der aber wie eine martialische Kriegsmusik klingt.

Besuchte Vorstellung: 11.08.2023, Premiere am 27.07.2023, noch bis zum 28.08.2023

Besetzung:
Il Conte di Almaviva. Andrè Schuen
La Contessa di Almaviva: Adriana González
Susanna: Sabine Devieilhe
Figaro: Krzysztof Bączyk
Cherubino: Lea Desandre
Marcellina: Kristina Hammarström
Bartolo: Peter Kálmán
Basilio: Manuel Günther
Don Curzio: Andrew Morstein
Barbarina: Serafina Starke
Antonio: Rafał Pawnuk

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker

Musikalische Leitung: Raphaël Pichon
Regie: Martin Kušej
Bühne: Raimund Orfeo Voigt
Kostüme: Alan Hranitelj
Licht: Friedrich Rom
Dramaturgie: Olaf A. Schmitt