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01.10.2018 - Mauricio Kagel - "Mare Nostrum" in Köln

Stand: 01.10.2018, 13:50 Uhr

Mauricio Kagel war zusammen mit Leuten wie Karlheinz Stockhausen, György Ligeti, Hans Werner Henze oder Pierre Boulez einer der führenden Köpfe der musikalischen Avantgarde nach dem Krieg. Er war aber auch immer ein Antipode. Alles was er komponierte, war von sarkastischer Theatralik, die Liederoper "Aus Deutschland", die "Sankt-Bach-Passion" etwa und auch das kammermusikalische Theaterstück "Mare Nostrum", das jetzt 10 Jahre nach seinem Tod an der Kölner Oper im Staatenhaus zu erleben war. In seinen Werken reagierte er immer spektakulär auf Zeitumstände, blieb aber auch irgendwie vordergründig und plakativ, so zumindest die Einschätzung aus heutiger Sicht. In den letzten Jahren blieb es dann auch mehr oder weniger still um Kagel.

"Mare Nostrum" scheint dieses Vorurteil zu bestätigen. Es geht um eine Art umgekehrte Kolonialisierung. Die Amazonier treffen in den Ländern des Mittelmeerraumes auf verwüstete Landschaften, in denen noch einige Überlebende wie Wilde hausen. Die Reise führt von Portugal in Ostrichtung bis nach Israel und in die Türkei. Die Länder werden durch landestypische Instrumente und durch verballhornte Sprachfetzen hörbar, die Türkei durch eine "Bearbeitung" von Mozarts Klavierstück "alla turca" und Fetzen aus der "Entführung aus dem Serail". Eine denkbar simple Dramaturgie und eine Portion Folklorismus.

Doch ganz so einfach hat es sich Kagel nicht gemacht. Das Stück hat in Wirklichkeit erstaunliche musiktheatralische Qualitäten. Das fängt schon mit der Erzählung des Amazoniers an. Sie hört sich mit der vom Band eingespielten Stimme von Miljenko Turk in einem scheinbar primitivisierten und verfremdeten Deutsch an wie der um Korrektheit bemühte Bericht eines Ethnologen, nur mit umgekehrten Vorzeichen als sonst. Wenn es da mit Blick auf das Christentum heißt: "Seltsamer Volk! Er glaubte an beides: an Frieden und Kriechen" wird nicht nur der amazonische Eroberer als Banause entlarvt, sondern subkutan auch unverbrüchliche Glaubenswahrheiten des Okzidents aufs Korn genommen und das alles in heiterer Beiläufigkeit.

Genuin musiktheatralisch ist auch die Art und Weise wie Kagel die Partien der beiden Protagonisten anlegt. Sie diskutieren nicht miteinander, sondern äußern sich kreatürlich durch Schreien, Stöhnen, Wehklagen, Grunzen, der verwilderte Europäer, den der Countertenor Kai Wessel als vollbärtige Jammergestalt darstellt, dem am Schluss in Unterhose Engelsflügel angeheftet werden, genauso wie Miljenko Turk als Eroberer aus Amazonien im südamerikanischen Indianer-Outfit. Diese körperlich-kreatürlichen Entäußerungen sind aber extrem kontrolliert, was auch nötig ist, wenn man sich die doch recht komplexe Partitur Kagels anschaut.

Kai Wessel und Miljenko Turk in "Mare Nostrum" von Mauricio Kagel

Kai Wessel und Miljenko Turk in "Mare Nostrum" von Mauricio Kagel

Der Regisseur Valentin Schwarz lässt den Europäer als einen Gedemütigten auf einer mit Müll übersäten Bühne umherkriechen und hat ihm noch zwei ältere Schwestern als stumme Rollen beigegeben, die mit ihm in Favela-Hütten hausen. So viel Müll muss man erst mal auf die Bühne schleppen und kunstvoll arrangieren. Aber trotzdem hat man das Gefühl, dass sich der überlebende Europäer inmitten seiner Erbärmlichkeit nicht unwohl fühlt. Auch der ihn begutachtende Amazonier lässt sich immer wieder auf einen lallenden Einklang mit ihm ein.

Mehr und mehr schlagen diese kreatürlichen Äußerungsformen auf die Instrumente über. Eine Trommel, die von den Darstellern (wie viele andere Instrumente) bedient wird, furzt, die Holzbläser durchschneiden akustisch den Raum wie Sirenen, und das Cello wimmert. Alles souverän gesteuert von dem Dirigenten Arnaud Arbet. Man erlebt, was Kagel mit seinem sogenannten Instrumentalen Theater meinte. Dazu gehört auch, dass die Musiker geschminkt auftreten und das sechsköpfige Kammerorchester im Zeitlupentempo von weit entfernt direkt vor die Zuschauer, die seitlich zur Bühne sitzen, gefahren wird. Die Musik schiebt sich sozusagen auch szenisch ins Zentrum.

Die Kölner Wiederbegegnung mit Kagels Kammeroper hat gezeigt, dass seine Werke in dem Jahrzehnt nach seinem Tod vielleicht doch etwas zu sehr vernachlässigt wurden. Jedenfalls steht er in seinem Anspruch, seinem kompositorischen Handwerk und seinem Theatersinn meilenweit über aktuellen Hervorbringungen, wie sie zuletzt auf der Münchner Biennale für neues Musiktheater zu begutachten waren, wo viele der neuesten Werke eben gerade jenem musiktheatralischen Konkretismus huldigten, den Kagel einst erfunden hatte.

Premiere: 23.09.2018, besuchte Vorstellung: 30.09.2018, noch am 03.10.2018

Besetzung:
Contratenor: Kai Wessel
Sprecher/Bariton: Miljenko Turk

Gürzenich-Orchester Köln

Musikalische Leitung: Arnaud Arbet
Inszenierung, Bühne & Video: Valentin Schwarz
Mitarbeit Bühne: Stella Lennert
Kostüme: Astrid Eisenberger
Licht: Nicol Hungsberg
Dramaturgie: Tanja Fasching, Georg Kehren