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Annette Dasch in „Katja Kabanowa“ von Leoš Janáček

09.12.2021 - Janáček, „Katja Kabanowa“ an der Komischen Oper Berlin

Stand: 09.12.2021, 09:30 Uhr

Janáčeks Oper heißt „Katja Kabanowa“ und die nicht wie Ostrowskis Vorlage „Das Gewitter“. Sein Schauspiel ist das Bild der rigiden kleinbürgerlichen Verhältnisse in der russischen Provinz. Die Oper dagegen ist oder besser kann man als psychologische Studie über eine junge empfindsame Frau lesen, so wie die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen an der Komischen Oper Berlin.

Ob es die gesellschaftlichen Verhältnisse sind oder die besonders perfiden Charaktere in ihrer Familie, an denen Katja zerbricht, lässt die Regisseurin offen. Letzteres wahrscheinlich, denn die Alten, die Schwiegermutter Kabanicha und der Onkel Dikoj, führen ein besonders übles Regiment und ergehen sich dabei selbst in widerlicher Frivolität. Man könnte den Alten etwas Gerechtigkeit widerfahren lassen, sind sie doch vielleicht auch nur Opfer und auf ihre Weise traumatisiert. Das tut Mijnssen aber nicht.

Stattdessen kümmert sie sich als Regisseurin geradezu liebevoll um Katja, und Annette Dasch tut in ihrem phänomenalen Spielen und Singen auch alles, damit wir im Publikum Mitleid haben und am Ende zu Tränen gerührt sind, als Katja, statt sich anstatt in der Wolga zu ertränken, Gift genommen hat und sich zu Tode krampft. Traurig ist das anzusehen, wie sie da liegt zwischen ihrem Liebhaber Boris und ihrem Ehemann Tichon, der kein böser Mensch ist, sondern wie Boris einfach nur unter den Alten leidet.

Aber es ist Katja, um die es hier geht. Duldsam und starr serviert sie der Familie Suppe oder gießt Tee ein. Apathisch ist sie aber nicht. Der Schwester Varvara berichtet sie von ihren Visionen beim Beten. Dabei hüllt sie sich in ein Tischtuch, wie Kinder es tun, wenn sie sich als Engel verkleiden. Schließlich zieht sie das Tuch über den Kopf, es wird zum Leichentuch, in dem Moment, wo sie sich vor der Sünde fürchtet. Zur großen Gestalt wächst Katja vor der Begegnung mit Boris. Sie tritt von hinten beleuchtet aus dem Nebel wie eine mythische Gestalt. Und wie mythische Gestalten es tun, ringt sie, ob sie das Unvermeidliche (den Ehebruch) noch abwenden kann.

Die Bühne von Julia Katharina Berndt unterstützt diese Fokussierung auf die Titelfigur, ja schafft sogar die Voraussetzungen dafür. Da gibt es keine Wolga, keine Landschaften, ja nicht einmal Wohnlandschaften. Stattdessen nur einen einzigen Raum, ein Salon mit überhohen Türen und in der Mitte ein Tisch mit Stühlen. Diesen Raum gibt es dreimal nebeneinander. Mal blickt man mehr in den einen, mal in den anderen. Immer ist Katja zugegen, mal im Zentrum, mal daneben. Der Tisch dient dabei als Podest, um sich zu erhöhen, als harte Liegestatt oder als Versteck für Dikoj und Kabanicha. Die Türen werden nur einmal bei der Liebesszene im 2. Akt geöffnet, erst spaltweise, dann ganz, so wie sich Katja Boris öffnet.

Aus all dem entsteht, wie gesagt, kein Sittengemälde und diese Konzentration auf Katja führt auch dazu, dass die anderen Personen nicht in gleicher Schärfe und Tiefe erscheinen, sondern fast nur als Hintergrundfolie.

Die Regisseurin lässt der Dirigentin Giedrė Šlekytė Raum. Dass man Vor- und Zwischenspiele bei geschlossenem Vorhang hören kann, ist heute eine Seltenheit. Šlekytė nutzt ihre Möglichkeiten aber nicht vollends. Zumindest von der vierten Parkettreihe aus erlebt man nur manchmal, wie sich die Sänger und das für Janáček so typische gestisch musizierende Orchester befeuern und verschränken. So z.B. am Ende des ersten Akts, bei der Abreise von Tichon, wo sich die kommende Katastrophe in der Musik schon andeutet.

Premiere: 27.11.2021, besuchte Vorstellung: 08.12.2021, noch bis zum 05.07.2022

Besetzung:
Sawjol Prokofjewitsch Dikoj, ein Geschäftsmann: Jens Larsen
Boris Grigorjewitsch: Magnus Vigilius
Marfa Ignatjewna Kabanowa, genannt Kabanicha: Doris Lamprecht
Tichon Iwanitsch Kabanow: Stephan Rügamer
Katherina, genannt Katja: Annette Dasch

Wanja Kudrjasch, Lehrer. Timothy Oliver
Varvara. Karolina Gumos
Glascha / Fekluscha. Sylvia Rena Ziegler
Kuligin. Nikita Voronchenko
Eine Frau. Caren van Oijen
Ein Vorbeigehender. Timothy Oliver

Chorsolisten der Komischen Oper Berlin
Orchester der Komischen Oper Berlin.

Musikalische Leitung: Giedrė Šlekytė
Choreinstudierung: David Cavelius
Inszenierung: Jetske Mijnssen
Bühnenbild: Julia Katharina Berndt
Kostüme: Dieuweke van Reij
Licht: Mark van Denesse
Dramaturgie: Simon Berger