Live hören
Jetzt läuft: Jean Sibelius - Sinfonie Nr. 1 e-Moll, op. 39
Allan Clayton als Jupiter und Nicole Chevalier als Semele in: Händel "Semele"

16.06.2018 – Händel, „Semele“ an der Komischen Oper Berlin

Stand: 16.06.2018, 13:50 Uhr

Es dauerte eine lange Stunde, bis man begriff, warum diese Semele ihre standesgemäße Hochzeit mit Athamas verweigert, bis nämlich Jupiter erscheint und eine lasziv erotische Stimmung verbreitet, der sie sich nicht entziehen kann. Dabei ist dieser Jupiter alles andere als ein toller Kerl. Der Sänger Allan Clayton kommt im Frack, ist sehr korpulent, trägt einen Vollbart und schulterlanges Haar. Aber er strahlt durch seine freundliche und neckische Art eine zärtliche Unwiderstehlichkeit aus.

Semele ist hier nicht eine größenwahnsinnige Frau, sondern ein Wesen, dem es um Unbeschwertheit und ungekünstelte Selbstverwirklichung geht. Das ist von Regisseur Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin eine starke Umdeutung von Händels Oratorium, das sonst von einer Frau handelt, die ihre Anmaßung mit dem Tod bezahlt.

In Gestalt des Baritons Evan Hughes ist der Schlafgott Somnus eine zweifellos attraktivere Erscheinung als Jupiter, den Juno, die sich an Semele wegen ihrer Eskapaden rächen will, anruft. Die, die eigentlich im griechischen Götterhimmel für Recht und Moral sorgen soll, lässt sich von dem drahtigen Jüngling mit dem riesigen Ohrhänger verführen oder umgekehrt. Dabei geht auch dieses Paar nicht direkt zu Werke. Barrie Kosky lässt den Jüngling schlaftrunken auf die Bühne rollen, und erst im allmählichen Aufwachen entfaltet sich wie beiläufig die erotische Situation.

Das sind die beiden Szenen, die in Erinnerung bleiben von dem fast dreistündigen Oratorium und vielleicht noch jene, in der Semele in Ekstase von Jupiter verlangt, ihn in seiner göttlichen Gestalt zu sehen, ein haarsträubender Koloraturenritt, den Nicole Chevalier aber überhauptnicht mit barocker Präzision absolvierte, sondern diese Tonkaskaden förmlich rausschrie und immer wieder in ein Juchzen und Schreien geriet.

Der Dirigent Konrad Junghänel ließ es, wissend um den Geist dieser Inszenierung, geschehen, weil er sich mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin immer auf der sicheren Seite einer historisch adäquaten Spielweise wusste. Das ermöglichte den Freiraum, auch sonst – jenseits der Noten – solchen kreatürlichen Äußerungsformen Platz zu geben, nicht nur bei Semele, sondern auch wenn die eigentlich strenge Juno, die biedere Schwester Ino oder die naive Iris außer sich geraten.

Das Ganze ist in einem verkohlten barocken Schloss angesiedelt, und alle Protagonisten halten einen förmlichen modernen Dresscode ein, was dieses Spiel um Entgrenzung und Besessenheit nur noch verstärkt, weil die Personen aus sich selbst heraus handeln. Gedacht ist das Arrangement als eine Rückblende, denn schon am Anfang sieht man den rauchenden Aschehaufen der verbrannten Semele, aus dem sie noch einmal entsteigt. Aber offenbar glaubt Barrie Kosky nicht an die läuternde Kraft der Sinnlichkeit, denn in der letzten Szene sitzt sie mit Brandwunden übersät und körperlich zugerichtet, traurig auf dem Kaminsims.

Premiere: 12.05.2018, besuchte Vorstellung: 15.06.2018, noch am 10.07.2018

Besetzung:

Cadmus, König von Theben: Philipp Meierhöfer
Semele, seine Tochter: Nicole Chevalier
Ino, ihre Schwester: Katarina Bradić
Athamas, Prinz von Böotien: Eric Jurenas
Jupiter, König der Götter: Allan Clayton
Juno, seine Frau: Ezgi Kutlu
Iris, ihre Vertraute: Nora Friedrichs
Somnus, Gott des Schlafes: Evan Hughes

Chorsolisten und Orchester der Komischen Oper Berlin

Musikalische Leitung: Konrad Junghänel
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühnenbild: Natacha Le Guen de Kerneizon
Kostüme: Carla Teti
Dramaturgie: Johanna Wall
Chöre: David Cavelius
Licht: Alessandro Carletti