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Hanna Schwarz (Old Woman), Victoria Randem (Alida), Linard Vrielink (Asle) in „Sleepless“ von Peter Eötvös

08.12.2021 – Peter Eötvös, „Sleepless“ an der Staatsoper Berlin

Stand: 08.12.2021, 09:30 Uhr

Musik hat viel mit Stimmung zu tun. In der Oper fängt die Musik im besten Fall die Stimmung des Textes ein. Bestes Beispiel ist dafür vielleicht Debussys „Pelléas et Mélisande“ auf Maeterlincks symbolistisches Schauspiel oder auch Janáčeks Operndramen. „Sleepless“ von Peter Eötvös ist ebenfalls eine Literaturoper. Vorlage ist die gleichnamige Erzählung des norwegischen Dichters Jon Fosse. Eötvös‘ Frau Mari Mezei hat daraus ein englischsprachiges Opernlibretto gemacht.

Alida ist von Asle schwanger. Sie irren umher auf der Suche nach einer Unterkunft und werden überall abgewiesen, selbst von Alidas Mutter. Asle ermordet die, die sie zurückweisen. Später wird er selbst in einem Akt von Selbstjustiz von den Dorfbewohnern gehängt. Ganz am Schluss sieht man Alida als alte Frau. Sie steht am Meer und hört in der Brise des Windes die Töne von Asles Fiedel, watet hinein und lässt sich „von den Wellen willkommen heißen“.

Man muss kein Jon Fosse Experte sein, um zu spüren, dass das Vage und Schwebende in seinem Text (dazu lese man nur das im Programmbuch abgedruckte Kapitel) bei Eötvös nur an ganz wenigen Stellen transportiert wird, ganz im Gegenteil. Er macht daraus ein pralles, temporeiches Sozialdrama. Die Musik ist nicht pastellen, sondern scharfkantig, bisweilen sogar plakativ. Die Hardanger-Fiedel von Asle wird im folkloristischen Tonfall vom Streichorchester imitiert bis hin zum einsamen Violinsolo am Schluss. Bei den Mordszenen geht es im Orchester hoch und runter. In den Wirtshausszenen rumpelt es derb. Und wenn Alida vor Kälte zittert, hört man im auch im Orchester zittrige Töne. Überaus schön sind freilich die Passagen, in denen ein Vokalsextett von den Seitenlogen aus das Geschehen kommentiert. Da wird immer wieder die Schlafbedürftigkeit der erschöpften Protagonisten beschworen oder das Glitzernde der norwegischen Fjorde.

Eötvös ist aber ein zu gewiefter Komponist, als dass er dabei auf der Kitschschiene ausgleiten könnte. Das verhindert er schon dadurch, dass die Opernballade (so der Titel) von vorne bis hinten durchkonstruiert ist. Die dreizehn Szenen sind in einem komplexen Tonartenmodell angeordnet. Dann hat Eötvös versucht, eine „norwegische Klangmischung“ durch eine „Polyphonie von Dreiklängen“ herzustellen. Und es gibt auch Leitinstrumente, das Marimbaphon z. B. als Todesinstrument. Trotzdem – und wohl ganz bewusst – schreibt Eötvös an der Oberfläche immer eine malende Musik.

Gesungen wird auf höchstem Niveau, allen voran das Titelpaar, Victoria Randem als Alida und Linard Vrielink als Asle. Grandios auch Sarah Defrise als das sich prostituierende Mädchen mit bizarren Koloraturen und verführerischem An- und Abschwellen der Stimme. Alles wurde von Eötvös zudem überaus textverständlich angelegt.

Auf der Bühne sieht man einen beeindruckend großen Fisch. Dessen offenes Inneres mit Gräten und rotem Fleisch hat Monika Pormale zum Wirtshaus umgestaltet und dessen glitschiges Äußeres zeigt sich dem Herberge suchenden Paar als abweisende Oberfläche. Der Regisseur Kornél Mundruczó greift Eötvös‘ Detailverliebtheit auf und macht aus „Sleepless“ ein handlungsreiches und um Realismus bemühtes Theaterstück.

Uraufführung: 28.11.2021, besuchte Vorstellung: 07.12.2021, noch bis zum 16.12.2021

Besetzung:
Alida: Victoria Randem
Asle: Linard Vrielink
Mother, Midwife: Katharina Kammerloher
Old Woman: Hanna Schwarz
Girl: Sarah Defrise
Innkeeper: Jan Martiník
Man in Black: Tómas Tómasson
Boatman: Roman Trekel
Jeweler: Siyabonga Maqungo
Asleik: Arttu Kataja

Ein Vokalsextett
Staatskapelle Berlin

Musikalische Leitung: Maxime Pascal
(bei der Uraufführung am 28.11.2021: Peter Eötvös)
Inszenierung: Kornél Mundruczó
Bühnenbild, Kostüme: Monika Pormale
Licht: Felice Ross
Dramaturgie: Jana Beckmann, Kata Wéber