Benjamin Britten, "The Rape of Lucretia" an der Hochschule für Musik und Tanz Köln

30.04.2019 – Benjamin Britten, "The Rape of Lucretia" an Hochschule für Musik und Tanz Köln

Stand: 30.04.2019, 13:50 Uhr

Benjamin Brittens Oper "The Rape of Lucretia" ist ein ideales Stück für eine Musikhochschulproduktion. Nicht weil es besonders einfach wäre, im Gegenteil, sondern weil es acht interessante Partien hat und ein Kammerensemble zum Einsatz bringt, bei dem es auch für die Instrumentalisten anspruchsvolle, zum Teil solistische Aufgaben gibt. Britten hat die Oper 1946 für das Glyndebourne Festival komponiert und darauf geachtet, dass das Werk in der Nachkriegszeit auch mit geringem Aufwand aufgeführt werden kann.

Auch inhaltlich geht es – in metaphorischer Weise - um eine Verarbeitung der Schrecken des Krieges: Lucretia, die tugendhafte Gattin des Collatinus wird von Prinz Tarquinius, dem Sohn des etruskischen Tyrannen über Rom, aus einer launenhaften Männer-Übereinkunft heraus vergewaltigt. Lucretia nimmt sich das Leben, weil sie als so Geschändete ihre Tugend eingebüßt hat. Diese Tat steht für Gewalt und Verrohung an sich.

Ein Erzählerpaar rückt dieses Geschehen zusätzlich in einen christologischen Zusammenhang. Lucretia ist eine Art Präfiguration des Gekreuzigten, und die Frage im Epilog "Ist all dieses Leiden umsonst" stellt dann wieder den Bezug zu Brittens Kriegs- und Nachkriegserfahrungen her.

Die Inszenierung von Gabriele Rech, der Professorin für szenischen Unterricht an der Kölner Musikhochschule, verfolgt aber einen anderen Stückzugang. Es soll um einen künstlerischen Beitrag zur #MeToo Debatte gehen. An der Person des Tarquinius wird gezeigt, wie eine stürmische Verführung erst am Ende in die brutale Vergewaltigung mündet. Zum Themenkomplex Macht und sexuelle Gewalt konnte sich das Publikum in der Pause in verschiedenen Räumen der Musikhochschule bildkünstlerische Auseinandersetzungen anschauen.

Musikalisch-künstlerische Auseinandersetzung heißt aber natürlich vor allem auch - jenseits von dramaturgischen Überlegungen - wie die Darsteller ihre Rollen ausführen. Und das hatte durchweg professionelles Niveau, so dass man diese Hochschulproduktion jederzeit auf Tournee in die Stadttheater schicken könnte.

Da war z. B. Ji Yuan Qiu als männlicher Erzähler, der mit seiner beweglichen, kraftvollen Tenorstimme sehr geschickt zwischen dem mehr rezitierenden Berichtston und der Anteilnahme an dem vor seinen Augen ablaufenden Geschehen wechselte. Sandra Gerlach als Lucretia verkörperte kein zerbrechliches Wesen, sondern gab ihrer Rolle interessanterweise eher eine resolute Färbung. Dann ihre Dienerin Lucia, die Anna Lucia Struck mit glockenklarer, runder Koloraturstimme in eine Art von Seligkeit und natürlicher Arglosigkeit tauchte, als Gegensatz zu ihrer Herrin. Oder Nicolaus Schouler, der als Prinz Tarquinius mit seinem hohen Bariton und seiner virilen Erscheinung einen Vergewaltiger spielte, dessen Elan und Unbedingtheit durchaus zu der Zwiespältigkeit der Rolle passte, wie sie auch von Britten schon angelegt wurde.

In den vier Aufführungen gab es wechselnde Besetzungen, das spricht für das Niveau der Kölner Gesangsklassen. Die Musiker, die von Maria Keller und Teresa Riveiro Böhm aus der Klasse von Stephan E. Wehr aktweise geleitet wurden, stellten Brittens Klangfarbenreichtum in diesem kleinen Ensemble in der Vordergrund, ohne die Sänger zuzudecken.

Besuchte Vorstellung: 29.04.2019

Besetzung
Male Chorus: Ji Yuan Qiu / Hyun Han Hwang / Tae Jun Sun
Female Chorus: Ava Gesell / Anna Graf
Collatinus: Clarke Ruth / Maximilian Haschemi
Junius: Benjamin Hewat-Craw
Prince Tarquinius: Nicolas Schouler / Daegyun Jeong
Lucretia: Sandra Gerlach
Bianca: Tong Zhang
Lucia: Anna Lucia Struck / Rosha Fitzhowle

Orchester der Hochschule für Musik und Tanz Köln

Musikalische Leitung: Maria Keller / Teresa Riveiro Böhm / Stephan E. Wehr
Inszenierung: Gabriele Rech
Bühne und Kostüme: Tobias Flemming
Licht: Thomas Vervoorts