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Mika Kares (Herzog Blaubart), Ausrine Stundyte (Judith) in: Béla Bartók, „Herzog Blaubarts Burg“ bei den Salzburger Festspielen

16.08.2022 – Béla Bartók, "Herzog Baubarts Burg" und Carl Orff, "De temporum fine comoedia" bei den Salzburger Festspielen

Stand: 16.08.2022, 09:30 Uhr

Die Bühne in der Salzburger Felsenreitschule ist ganz dunkel bei Bartóks einaktiger Oper "Herzog Blaubarts Burg". Man sieht fast nichts, den Herzog und Judith, die die 7 Türen des Schlosses öffnen will, meist nur schemenhaft, und was sich hinter diesen Türen verbirgt, sieht man schon gleich gar nicht. Es sind Seelentüren von Judith, und sie begibt sich laut Regisseur Romeo Castellucci auf eine Art psychoanalytische Erkundungstour. Der Herzog ist dabei kein Frauenmörder, sondern ihr sanfter Begleiter und Warner, wunderbar prägnant und warm gesungen von Mika Kares. Während der Judith, wie sie von Ausrine Stundyte dargeboten wird, etwas Zögerliches und Zerbrechliches eigen ist.

Man sieht nichts, aber man hört alles: Die Schätze hinter der 3. Tür klingen aus dem brillant spielenden Gustav Mahler Jugendorchester funkelnd herauf, die Blumen verströmen Klangdüfte, und das weite Land hinter der 5. Tür ist ein pathetischer Orchesterchoral.

Das alles wird von Teodor Currentzis dirigiert. Er ist so etwas wie der artist in residence bei den Festspielen. Das hat sich der Intendant Markus Hinterhäuser nicht nehmen lassen, auch wenn Currentzis seit dem Ukrainekrieg in der Kritik steht, weil er sich nicht mit einem klaren Statement dagegen positioniert hat. Seine russischen Ensembles, der Chor und das Orchester musicAeterna, werden von einer russischen, auf der Sanktionsliste stehenden Bank gefördert. Möglicherweise will Currentzis mit seiner Zögerlichkeit vor allem seine Musiker schützen. In einem Interview hat der griechisch-russische Dirigent immerhin bekundet, wie wichtig ihm das griechische Wort Demokratie sei. Jeder Mensch könne über sich selbst entscheiden. Wer das ignoriere, lande in einem anderen System. Das mag man in voraussehender Verklausulierung als Distanzierung vom Putin-System hören. Unterdessen hat Currentzis den Plan zur Gründung eines neuen Orchesters mit dem vielsagenden Namen Utopia bekannt gegeben, das wohl ohne russische Fördergelder auskommen soll.

Bei den Salzburger Festspielen dirigierte er neben der Opernaufführung noch zwei weitere Konzerte, zu Beginn die antirassistische 13. Sinfonie "Babi Jar" von Schostakowitsch und dann noch Purcells "Dido and Aeneas" zusammen mit der 14. Sinfonie von Schostakowitsch. Gefiel sich Currentzis in den Vorjahren bei seinen Mozart-Aufführungen immer ein wenig in der Rolle des Exzentrikers, so zeigte er sich bei Bartók und später bei Orff vor allem als sehr guter Dirigent und ergebener Sachwalter der Partituren.

Ein bisschen was hat man dann aber doch gesehen: züngelnde Flammen, die sich einmal auch zum ICH formen, Wasser auf dem Boden, ein totes Baby, das Judith umhegt und sie selbst mit dem Herzog im stilisierten Paartanz. Das alles sind, wie man es von Castellucci kennt, Bilder voller Symbolik, die man entschlüsseln kann oder auch nicht.

Nach der Pause dann Carl Orffs letztes Musiktheaterwerk "De temporum fine comoedia", uraufgeführt 1973 bei den Salzburger Festspielen, übrigens von WDR Sinfonieorchester und dem WDR Rundfunkchor. Es ist ein Stück, das ganz und gar nicht zu Bartók passt, schon weil hier ein komplett anderer Orchesteraufbau nötig wird. Bartóks Musik zeigt Seelenzustände, da hat Castellucci recht, und ist hoch differenziert. Orff dagegen mutet an wie eine Trommelband indigener Musiker, die einen rituellen Tanz aufführen. Dabei sind es antike Sibyllen, die das Ende der Welt herausschreien und Anachoreten (d. h. asketische Einsiedler), die etwas vom allgegenwärtigen Teufel stammeln. Im dritten Teil, in dem sich das Ende der Welt bereits ereignet hat, entsteigen dem Bühnenboden klappernde Skelette und nackte, gesichtslose Leiber, die unablässig "Mach ein Ende" stoßartig artikulieren. Damit gelingt Castellucci wie nicht sehr häufig an diesem Abend eines seiner kreatürlich eindringlichen Bilder, für die er in seinen anderen Inszenierungen bekannt geworden ist. Das Ganze endet bei Orff versöhnlich, indem Lucifer seine Sünde bekennt. Vor ihm fallen auch Herzog und Judith aus dem ersten Teil auf die Knie, und sie reicht ihm einen neuen Apfel, gewissermaßen den Sündenfall rückgängig machend.

Orffs repetitive, archaisch anmutende, um nicht zu sagen ausgeklügelt primitive Musik bedarf anders als die von Bartók der Hilfe eines Regisseurs wie Castellucci. Als bloßer Hörer wäre man irritiert angesichts der Vorführung solcher gestammelten und geschrieenen Entäußerungen von altgriechischen, lateinischen und deutschen Wörtern.

Premiere: 26.07.2022, besuchte Vorstellung: 15.08.2022

Besetzung:
Herzog Blaubart: Mika Kares
Judith: Ausrine Stundyte
Prolog: Christian Reiner

musicAeterna Choir
Bachchor Salzburg
Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor
Gustav Mahler Jugendorchester

Musikalische Leitung: Teodor Currentzis
Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme, Licht: Romeo Castellucci
Choreographie: Cindy Van Acker
Dramaturgie: Piersandra Di Matteo
Choreinstudierung: Vitaly Polonsky, Benjamin Hartmann, Wolfgang Götz