Zehn Sekunden Grapschen ok? Empörung über Gericht in Italien

Stand: 13.07.2023, 17:52 Uhr

Ein Hausmeister begrapscht eine Schülerin und wird vor Gericht freigesprochen - weil es weniger als zehn Sekunden gewesen seien. Ein Urteil in Italien sorgt für Aufsehen.

Es klingt wie eine Geschichte, die schon Jahrzehnte her ist und aus einer Zeit stammt, in der noch leichtfertig über sexuelle Belästigung hinweggesehen wurde. Doch was eine 17-Jährige in Italien erlebt hat, ist ganz aktuell - und sorgt für große Empörung.

Darum geht es: Im April 2022 soll die Jugendliche vom Hausmeister ihrer Schule begrapscht worden sein. Als sie mit einer Freundin die Treppe hinaufging, um zum Unterricht zu gehen, spürte sie demnach, wie jemand für fünf bis zehn Sekunden von hinten in ihre Hose und unter ihren Slip griff. Es war der Hausmeister, der die Schülerin am Gesäß berührte. Laut der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" gab er später zu, das Gesäß der 17-Jährigen berührt zu haben. Allerdings habe er ihr nicht unter die Hose gegriffen und "aus Spaß" gehandelt.

Freispruch vor Gericht

Der Fall landete vor Gericht und vergangene Woche gab es ein Urteil. Das lässt nun viele Menschen fassungslos zurück. Denn der Mann wurde laut dem Bericht vom Vorwurf der sexuellen Nötigung freigesprochen - weil der Übergriff weniger als zehn Sekunden gedauert haben soll.

So heißt es laut der Zeitung in der Urteilsbegründung, sein Handeln stelle kein Verbrechen dar. Der Übergriff habe "eine Handvoll Sekunden" gedauert und sei deswegen zwar "ungeschickt, aber frei von lüsternen Absichten".

Die Schülerin sieht das - wenig überraschend - völlig anders und zeigt sich bestürzt. "Das war, zumindest für mich, kein Scherz", sagte sie am Mittwoch der Zeitung. Die Staatsanwaltschaft hat das wohl genauso gesehen und eine Verurteilung zu dreieinhalb Jahren gefordert. Stattdessen kann der Mann nun wieder in seiner alten Schule arbeiten.

0630 Spezial: 5 Jahre nach #metoo - Was ein Hashtag bis heute (nicht) verändert hat

0630 - der News-Podcast 08.10.2022 50:05 Min. Verfügbar bis 08.10.2027 1LIVE


Download

Demo vor der Schule, Empörung im Netz

Angesichts des Freispruchs ist die Empörung in Italien nun groß. Vor der Schule gab es schon eine Demonstration. Eine Studentin sagte: "Das ist der Spiegel einer Gesellschaft, die wir jeden Tag erleben müssen. Sie verdammt die Frauen dazu, als Opfer zu leben und selbst dann zu schweigen, wenn man belästigt wird, aus Angst, dass einem selbst die Schuld gegeben wird."

Die Präsidentin der Frauenrechtsorganisation "Differenza Donne", Elisa Ercoli, sieht in dem Urteil den Ausdruck einer Kultur, die die Gewalt gegen Frauen bagatellisiere. "Es ist in jeder Hinsicht Belästigung. Denn auch der Richter hat bestätigt, dass es diese Verletzung der Intimsphäre der Frau gab. Wir verstehen diese Rechtsauslegung nicht, wir widersprechen ihr."

Das tun auch im Netz jede Menge Italienerinnen und Italiener. Unter dem Hashtag #10secondi (deutsch: zehn Sekunden) posten sie bei Instagram und Tiktok Videos, um zu zeigen, wie lang eine "palpata breve" (deutsch: kurzes Begrabschen) sein kann.

Zehn Sekunden lang läuft eine Stoppuhr, während die Frauen und Männer in die Kamera schauen und intime Bereiche ihres Körpers berühren. Den Anfang machte der für seine Rolle in "The White Lotus" bekannte italienische Schauspieler Paolo Camilli. Ihm folgte die in Italien bekannte Influencerin Chiara Ferragni. Aber auch User mit weniger Reichweite beteiligen sich mit Videos.

Dieses Element beinhaltet Daten von Instagram. Sie können die Einbettung auf unserer Datenschutzseite deaktivieren.

Verschiedene Formen sexueller Belästigung

Die Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt in Bonn weist darauf hin, dass insbesondere Frauen und Mädchen in unterschiedlichen Situationen mit sexueller Belästigung konfrontiert werden - in Bussen und Bahnen, auf Partys, am Arbeitsplatz oder im Netz.

"Sexuelle Belästigungen sind vielfältig und umfassen alle Formen und Situationen, in denen Personen aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert und herabgewürdigt werden."

Nationale und europäische Studien belegten, dass über 50 Prozent der Frauen von sexueller Belästigung betroffen seien.

Das sagt das deutsche Recht

Im deutschen Strafgesetzbuch gibt es einen eigenen Passus zu sexueller Belästigung. Darin heißt es: "Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Die Tat werde nur auf Antrag verfolgt. Das heißt, Betroffene müssen Anzeige erstatten.

Ob es dann tatsächlich zu einer Verurteilung kommt oder es wie im Fall aus Italien einen Freispruch gibt, entscheidet am Ende der Richter oder die Richterin. Eine zeitliche Regel, ab wie viel Sekunden das Grapschen geahndet werden muss, gibt es in Deutschland nicht - und in Italien eigentlich auch nicht.

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 14.07.2023 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.

Weitere Themen