Dammbruch in der Ukraine: Zehntausende von Hochwasser betroffen
Stand: 07.06.2023, 18:55 Uhr
Nach dem Bruch des Kachowka-Staudamm in der Ukraine wächst die Sorge um die in den Überschwemmungsgebieten lebenden Menschen. Russland und die Ukraine beschuldigen sich gegenseitig für die Katastrophe verantwortlich zu sein.
Am schwierigsten sei die Lage im Viertel Korabel in der Großstadt Cherson, erklärte der stellvertretende Kabinettschef des ukrainischen Präsidenten, Oleksij Kuleba, am Mittwoch. Das Wasser habe dort einen Stand von 3,5 Metern erreicht, mehr als 1.000 Häuser seien überflutet. Der Höhepunkt der Flutwelle wurde im Laufe des Mittwochs erwartet. Der Wasserstand in der nahe des Damms gelegenen Stadt Nowa Kachowka hingegen ist laut den russischen Besatzungsbehörden bereits wieder gesunken. Dort hatte es am Dienstag schwere Überschwemmungen gegeben.
Die Flutwelle könnte nach Angaben einer ukrainischen Nichtregierungsorganisation vom Dienstag fast 100 Städte und Dörfer unter Wasser setzen. Die Wassermassen würden erst nach etwa fünf bis sieben Tagen abfließen, teilte das Weltdatenzentrum für Geoinformatik und nachhaltige Entwicklung mit.
Ukraine und Russland geben sich gegenseitig die Schuld
Der Damm war am Dienstagmorgen gebrochen. Die darauf freigesetzten Wassermassen überfluteten weite Landstriche im Süden des Landes. Kiew und der Westen bezichtigten russische Besatzungstruppen, den von ihnen kontrollierten Damm gesprengt zu haben. Ziel sei es, die erwartete ukrainische Gegenoffensive aufhalten zu wollen. Moskau machte Kiew für die Katastrophe verantwortlich. Die Ukraine betonte, die eigenen militärischen Pläne könnten trotzdem umgesetzt werden.
Zehntausende müssen fliehen
Die russischen Besatzer in der Ukraine gehen davon aus, dass in dem von ihnen kontrollierten Teil des Gebiets Cherson bis zu 40.000 Menschen von den schweren Überschwemmungen betroffen sind. Laut staatlicher russischer Nachrichtenagentur Tass wurde dort der Notstand ausgerufen.
Ob es bereits Todesopfer gegeben hat, war am Mittwoch noch nicht klar. Nach Angaben der russischen Besatzungsbehörden werden aktuell mindestens sieben Menschen vermisst, rund 900 sollen angeblich schon in Sicherheit gebracht worden sein. Das teilte der von Russland eingesetzte Bürgermeister der Stadt Nowa Kachowka, die in unmittelbarer Nähe des zerstörten Damms liegt, laut der russischen Nachrichtenagentur Tass mit.
Ursache für Dammbruch unklar
Der Dammbruch im Satellitenbild
Noch ist nicht geklärt, ob das Bauwerk absichtlich beschädigt wurde oder es sich um einen Unfall handelt.
Der Kachowka-Staudamm am Fluss Dnipro ist ein Gigant. Stauseen solchen Ausmaßes sucht man in Mitteleuropa vergebens. 1956 von der Sowjetunion gebaut staut die mehr als drei Kilometer lange Staumauer den Dnipro zum riesigen Kachowkaer Stausee, der wegen seiner Größe selbst wie ein Meer wirkt.
Der See ist unfassbare 230 km lang, das entspricht fast der Distanz von Aachen nach Höxter, also einmal quer durch NRW. Seine Küstenlinie umfasst nahezu 900 Kilometer.
Der Gigant fasst nahezu das 100fache des Edersees
Das Fassungsvermögen beträgt mit 18,2 Milliarden Kubikmetern fast das 100fache des Edersees in Nordhessen, einem der größten deutschen Stauseen. Seine Fläche ist fast so groß wie ganz Luxemburg oder viermal so groß wie der Bodensee.
Anlage laut Betreiber vollkommen zerstört
Der Betreiber des Wasserkraftwerks, Ukrhydroenerho, teilte mit, die Anlage sei vollkommen zerstört und könne nicht repariert werden.
Das Wasser des Stausees ist für die Ukrainer sehr wichtig. Dort wird Strom produziert, der in das ukrainische Netz eingespeist wurde und auch die russisch besetzten Gebiete versorgte. Außerdem geht das Wasser in die landwirtschaftliche Bewässerung, es ermöglicht unter anderem den Anbau von Wein, Obst und Reis. Für die Trinkwasserversorgung ist der See wichtig. Das Wasser ist selbst für die Krim von großer Bedeutung.
Trinkwasser für die Halbinsel Krim
Nach der Annexion der Krim durch Moskau 2014 drehte Kiew den Hahn ab, was zu großen Problemen bei der Wasserversorgung auf der Halbinsel führte. Wenige Wochen nach der russischen Invasion öffneten die russischen Besatzer eigenen Angaben zufolge den Zufluss wieder, so dass täglich 1,7 Millionen Kubikmeter Wasser die Krim erreichten. Die Versorgung mit Wasser ist nun für Teile der Ukraine wie auch der Krim nicht mehr sichergestellt.
Entlang des Flusses Dnipro verläuft derzeit auch die Front. Das rechte Ufer wird von den Ukrainern gehalten, das linke von den Russen.
Das Atomkraftwerk Saporischschja liegt ebenfalls am Dnipro, aber etwa 150 Kilometer stromaufwärts und ist daher erstmal nicht von der Katastrophe betroffen.
AKW Saporischschja "gegenwärtig" nicht in Gefahr
Die ukrainische Atomenergiebehörde Energoatom teilte am Dienstag mit, die Lage sei "gegenwärtig" unter Kontrolle. Die Zerstörung des Staudamms stelle aber eine Gefahr für das AKW dar, denn "Wasser aus dem Kachowka-Stausee ist notwendig, damit die Anlage Strom für die Turbinenkondensatoren und Sicherheitssysteme des Kernkraftwerks erhält." Derzeit sei das Kühlbecken der Anlage voll.