Abschuss Ja oder Nein? Für NRW-Wölfin Gloria tickt die Uhr

Stand: 07.01.2024, 08:06 Uhr

Nordrhein-Westfalens bekannteste Wölfin GW954f - "Gloria" - am Niederrhein könnte das erste Tier nach der Rückkehr der Wölfe werden, das im Bundesland von Jägern abgeschossen wird.

Nach zahlreichen nachgewiesenen Rissen von Nutztieren und zuletzt vier Attacken Glorias kurz hintereinander im Oktober 2023 mit mehreren getöteten Schafen hat der Kreis Wesel im Einklang mit dem NRW-Umweltministerium Ende vergangenen Jahres eine Abschuss-Verfügung erlassen.

Die wurde aber kurz danach auf mehrere Klagen von Wolfs- und Naturschützern am Verwaltungsgericht Düsseldorf vorübergehend außer Kraft gesetzt. Seitdem tickt die Uhr - zugunsten der Wölfin. Denn am 15. Februar beginnt die Reproduktionszeit der Wölfe. Dann tritt die Abschussverfügung wieder außer Kraft.

Entscheidung noch nicht in Aussicht

Ob bis zu diesem Zeitpunkt Rechtsklarheit zu erreichen ist, bezweifeln Experten. Denn die Entscheidung aus Düsseldorf im Eilverfahren - nach dem ersten vorläufigen Zwischenentscheid - soll erst ab diesem Monat erfolgen. Dagegen gibt es Beschwerdemöglichkeit beim Oberverwaltungsgericht in Münster. Und nach dem Eilverfahren steht auch noch das sogenannte Hauptsacheverfahren an.

Die Materie ist komplex. Allein die Verfügung des Kreises umfasst 30 DIN A 4-Seiten. Und schon für die Eil-Entscheidung muss das Verwaltungsgericht auch die Schriftsätze und mögliche Gutachten der Wolfsschützer ausführlich prüfen.

Wolfs-Rückkehr in NRW umstritten

Die Rückkehr von Wölfen in das dicht besiedelte Nordrhein-Westfalen ist spätestens seit der Ausrufung des ersten NRW-Wolfsschutzgebietes in Schermbeck am Rand des Ruhrgebiets mit Wölfin Gloria 2018 öffentlich stark umstritten. Schon 2021 hatte ein Schäfer nach mehreren Rissen durch Gloria im Schermbecker Wolfsgebiet auf einen Abschuss des Tieres geklagt. Er scheiterte vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf.

Wolfsangriffe sorgen immer wieder für emotionale Debatten - vor allem, wenn wie zum Beispiel am 28. Februar 2023 in Dinslaken bei einer einzigen Attacke zahlreiche Tiere getötet werden. Dort waren es laut der Aufzeichnung 14 Schafe und eine Ziege. Mehrere Tiere wurden zudem verletzt oder später tot aufgefunden und Mutterschafe brachten Lämmer durch den Schreck zu früh und damit "lebensschwach" zur Welt. Auch hier war Gloria nachweisbar beteiligt.

Die Bilder schwer verletzter oder toter und stark angefressener Schafe empören Nutztierhalter, die vom Staat mehr Schutz für ihr Eigentum fordern - auch wenn sie bei nachgewiesenen Wolfsrissen Entschädigung erhalten.

Tierschützer gegen Abschuss

Lautstark sind aber auch die Proteste von Tierschützern gegen Abschusspläne für die streng geschützten Wölfe. Gloria sei das einzige weibliche Tier in dem Rudel am Niederrhein. Sollte die Fähe abgeschossen werden, könne sich das Rudel nicht mehr fortpflanzen, argumentieren sie in ihren Klagen gegen die Abschuss-Verfügung.

Der Kreis Wesel beruft sich dagegen auf eine Einschätzung der obersten Naturschutzbehörde: Danach würden "aufgrund der hohen Laufleistung junger Wölfe" selbst nach einem Abschuss von Gloria früher oder später weibliche Jungtiere aus Rudeln in Nachbarbundesländern wieder zu dem Rudel stoßen - oder auch ein wanderndes erwachsenes weibliches Tier.

NRW-Jäger warnen vor Folgen

Ganz unabhängig von diesen Fragen zögern auch die NRW-Jäger. "Wir raten unseren Mitgliedern derzeit nicht, sich an etwaigen Entnahmeaktionen von Problemwölfen zu beteiligen", sagte der Sprecher des Landesjagdverbandes NRW, Andreas Schneider, vor Weihnachten. Wichtige versicherungstechnische Fragen seien noch offen. Auch seien die Namen der beauftragten Jäger kaum vertraulich zu halten. Es sei mit Übergriffen durch militante Tierschützer zu rechnen. "Die Frage ist offen: Wer schützt den Schützen?"

Die Allgemeinverfügung sieht allerdings gar nicht vor, örtliche Revierinhaber mit dem Abschuss zu beauftragen. Das sollten ausschließlich besonders geeignete sachkundige Personen erledigen, die vom Kreis Wesel beauftragt würden, heißt es darin.

Diese Sorge der Jäger teilt die zuständige NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU). "Ich könnte mir vorstellen, dass jemand beauftragt wird, der nicht aus der Region kommt – vielleicht sogar aus dem Ausland", sagte Gorißen der "Rheinischen Post".

Land NRW fördert besseren Schutz von Weidetieren

Das Land setzt im Umgang mit dem Wolf grundsätzlich auf mehr Schutz der Weidetiere durch Zäune und Hütehunde. Das Fördergebiet, in dem Nutztierhalter für die vorbeugenden Maßnahmen bis zu 100 Prozent der Kosten vom Staat bekommen, wurde im Herbst 2023 auf fast die Hälfte der Landesfläche ausgedehnt. Von den insgesamt zwei Millionen Euro, die dafür zur Verfügung standen, wurden 2023 aber erst rund 566.000 Euro auf Antrag ausgeschüttet, wie die zuständige Landwirtschaftskammer Ende 2023 mitteilte. 2022 waren es für das Gesamtjahr rund 430.000 Euro - also ebenfalls deutlich weniger als laut Etat möglich.

"Viele Tierhalter scheuen den Antragsaufwand und einige Tierhalter schützen ihre Tiere auch ohne die Förderung in Anspruch zu nehmen", erklärte die Geschäftsführerin des Schafzuchtverbandes NRW, Fides Marie Lenz. Ein "kontinuierliches Aufrüsten von Herdenschutzmaßnahmen" sei nicht zumutbar. Nächtliches Aufstallen und der Einsatz von Herdenschutzhunden müssten freiwillige Maßnahmen bleiben. Der Verbandsvorstand fordert den Abschuss der Wölfe, wenn sie Schutzzäune überwinden.

Wölfe in fünf NRW-Gebieten

Derzeit gibt es in NRW Wölfe in fünf Territorien: Schermbeck, Haltern, Dämmerwald/Üfter Mark, Leuscheid an der Grenze zu Rheinland-Pfalz und der Märkische Kreis. Dazu kommen durchwandernde Tiere und Tiere aus Nachbarterritorien wie Niedersachsen, die gelegentlich auf NRW-Gebiet unterwegs sind.

Unsere Quelle:

  • dpa

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