Zelte auf einem Campingplatz, wo vor einigen Wochen ein politisches Camp mit einem Waffenworkshop stattfand. Im Hintergrund ein Schild mit der Aufschrift: "Willkommen auf dem Liberty Sunrise"

Polit-Camp mit Waffenworkshop auf dem Dorf

Stand: 23.08.2022, 11:57 Uhr

Rund 120 "kapitalistische Jugendliche" trafen sich Mitte August in Bleiwäsche zum "Liberty Sunrise"-Camp. Nach außen hin eine bunte, freundliche Veranstaltung - auf dem Programm standen aber auch ein "Waffenworkshop" und Survival-Training.

Von Peter Cohrs, Jan-Ole Niermann und Uwe Pollmann

Einen Hinweis auf das Camp "Liberty Sunrise" erhält der WDR von der antifaschistischen Rechercheplattform Paderborn. Es gebe dort "menschen- und demokratiefeindliche Redner*innen". Nur: die Homepage des "freiheitlichen Sommercamps" zeigt zunächst fröhliche Menschen. Was kann daran falsch sein? Doch im Programm taucht neben Vorträgen über Anarchismus, Kapitalismus, Medien oder Survivaltraining auch "Der große Waffenworkshop" auf.

Waffentraining in einem Polit-Camp?

Vom freundlichen Veranstalter vor Ort, Max Remke, erfährt der WDR zunächst, dass es ein Treff "für kapitalistische Jugendliche" sei: "Wir sind einfach in einem Land, wo über Kapitalismus nicht so viel geredet wird." Es gehe um "unregulierten Kapitalismus", wo nur der Markt entscheide, wo "Wert gegen Wert" getauscht werde. Etwa 120 junge Leute aus ganz Deutschland seien dabei. Aktivisten, die auch wenig vom Sozialstaat halten, wie Remke andeutet.

Denn es sei "einer der großen Nachteile unserer heutigen Welt, dass der Sozialstaat inzwischen so enorm groß ist." Mehr "Eigenverantwortung" sei nötig. Man stehe aber nicht politisch rechts, sei gegen Rassismus, für offene Grenzen, Drogenlegalisierung und Abtreibung.

Waffen seien gut, um Eigentum zu schützen

Ein Screenshot der Anmeldung zum Camp mit der Aufschrift: "Liberty Sunrise 2022 Kapitalisten unter sich"

Screenshot eines Veranstaltungshinweises auf Twitter für "Liberty Sunrise"

Nur, warum gibt es bei einem politischen Camp einen Waffenworkshop? "Sehr, sehr viele aus der kapitalistisch libertären Bewegung mögen Waffen", erklärt der junge Mann mit Haarzopf. "Weil natürlich Eigentum uns sehr wichtig ist und wir es mögen, Eigentum zu schützen und uns selbst zu schützen. Und wir halten Waffen für eine sehr, sehr gute Idee." Natürlich habe man keine richtigen Waffen, sondern Soft-Air-Waffen, die nicht gefährlich seien. Ohnehin sei man gegen Gewalt. Dennoch: ein Camp mit Waffentraining? Darüber hinaus ist etwa die sogenannte "Gadsden"-Flagge zu sehen - ein libertäres Symbol, das mittlerweile auch gerne in der rechten Szene verwendet wird. Die Fahne war auch beim Sturm auf das Kapitol in Washington zu sehen.

Gewaltforscherin sieht „problematische Ansätze“

Das Camp findet rund um die Halle des Heimatschutzvereins Bleiwäsche statt. Was aber weiß der über die Nutzer? Die Veranstalter hätten sich eher als "so etwas wie Pfadfinder" vorgestellt, sagt ein Sprecher. Man habe im Vorfeld die Polizei kontaktiert, die habe das Camp nicht beanstandet. Im Nachhinein sei das für den Verein "auch nicht schön."

Konflikt- und Gewaltforscherin Beate Küpper

Konflikt- und Gewaltforscherin Beate Küpper

Die Konflikt- und Gewaltforscherin Beate Küpper, Professorin an der Hochschule Niederrhein, beobachtet seit zwei Jahrzehnten politische Bewegungen, die den Staat in Frage stellen. Sie sagt zum Camp: "Ideologisch sehen wir ganz klar sozialdarwinistische Ansätze, die da heißen: Schwächere haben Pech gehabt, wenn sie schwächer sind." Daraus könne sich das Recht ableiten, auf Schwächere keine Rücksicht zu nehmen und sie im Zweifel auch mit Stärke zu besiegen: „Das sind schon problematische Ansätze, die kennen wir aus dem Rechtsextremismus."

Verfassungsschutz: kein Zusammenhang mit extremistischen Bestrebungen

Allerdings sah der für OWL zuständige Staatsschutz mit Sitz in Bielefeld keine rechtlichen Möglichkeiten, die Veranstaltung zu untersagen. Auch dem NRW-Verfassungsschutz sind libertäre Gruppen mit der Einstellung bekannt, dass "die Gesellschaft komplett ohne staatliche Strukturen existieren könne." Aber derzeit seien "keine der Gruppierungen, die an dem Camp teilnehmen, im Zusammenhang mit extremistischen Bestrebungen bekannt."

Der WDR hat sich einige Aktivisten genauer angesehen. Beispiel: Marvin Wank, der im Programm als "liberaler Twitterer und freier Autor" aufgeführt ist. Auf seinem Twitter-Account findet sich zum Beispiel diese Aussage: "Ich verachte die Bundesrepublik und ihre Institutionen im Speziellen." Oder: Michelle Schaaf, Jungpolitikerin aus Sachsen, die sich in ihrer Twitter-Biografie mit "hasst den Staat" beschreibt.

Teilnehmer hassen und verachten Bundesrepublik

Ebenso im Programm aufgeführt ist eine wichtige Figur der rechtslibertären Szene, Markus Krall, der etwa in einem Youtube-Video fordert: "Es wählt, wer beiträgt und nicht wer entnimmt. Und das bedeutet: das Wahlvolk, die atomisierte Souveränität, besteht aus denen, die keine staatlichen Transfers in Anspruch nehmen, weder in Form von Sozialtransfers, noch in Form von Subventionen." Kein Wahlrecht also etwa für Sozialhilfeempfänger. Krall sagte den Auftritt in Bleiwäsche allerdings ab.

Extremismusexpertin: Verfassungsschutz muss genauer hinschauen

Extremismusexpertin Küpper findet die Mischung aus Waffentraining und Ideologieschulung bedenklich: "Wir haben auf der einen Seite eine Gefahr tatsächlicher Radikalisierung bis hin zu möglicher scheinlegitimierter Gewalttätigkeit. Wir haben aber auch ein Aushöhlen von Grundwerten, die uns eigentlich zusammenhalten. Also da sehen wir eine Vorbereitung in dieser Mischung, die mir, wenn ich Verfassungsschutz wäre, einen scharfen Blick abfragen würde."

Über dieses Thema berichten wir in der TV-Ausgabe der Lokalzeit OWL am 22.08.2022.