Der Angeklagte und sein Anwalt stehen nebeneinander im Gerichtssaal und werden von Kameras gefilmt

Querdenker-Demo vor Politikerinnen-Haus: Freispruch

Stand: 21.10.2022, 14:47 Uhr

Ein Mann aus Minden ist vom Amtsgericht Minden freigesprochen worden. Ihm wurde vorgeworfen, eine sogenannte "Querdenker"-Demo organisiert und zum Haus der damaligen Landrätin Anna Katharina Bölling geführt zu haben.

Von Oliver Köhler

Angeklagt war der Mann wegen Beleidigung einer Person des öffentlichen Lebens und der Durchführung einer nicht angemeldeten Veranstaltung. Brisant: Der Mann ist ein Nachbar von Anna Katharina Bölling.

Freispruch in beiden Fällen

In beiden Fällen wurde er nun freigesprochen. Zum einen konnte dem Mann nicht nachgewiesen werden, der Versammlungsleiter der Veranstaltung gewesen zu sein. Außerdem sei die Meinungsfreiheit höher zu gewichten als das Persönlichkeitsrecht, weil die Bezeichnung nicht gegen sie persönlich ging, sondern gegen das Amt. Und das müsse das Amt aushalten, so der Richter.

Richter findet deutliche Worte

Zum Ende der Urteilsverkündung fand der Richter dennoch deutliche Worte. Ein Marsch wie dieser habe vor der Haustür von Funktionsträgern nichts zu suchen. Dies sei eine klare Grenzüberschreitung.

Vorwurf: Landrätin mit Nazis verglichen

Im Januar war es in der Nähe des Hauses der damaligen Landrätin von Minden-Lübbecke zu einem Aufmarsch im Rahmen eines sogenannten "Corona-Spaziergangs" gekommen. Einige Dutzend Menschen waren auf dem Weg zu ihrem Haus. Die Polizei konnte sie aber aufhalten.

Die Staatsanwaltschaft hatte dem 65-jährigen Zahnarzt aus Minden vorgeworfen, die Politikerin als "Gauleiterin der Herzen" bezeichnet zu haben. Er soll außerdem den Zug zu ihrem Haus angeführt haben.

Angeklagter bestreitet Vorwürfe

Schon zu Beginn des Prozesses bestritt der Mindener vor Gericht die Vorwürfe. Demnach habe er nichts mit dem "Spaziergang" zu tun gehabt und sei als Radfahrer mehr zufällig vorbeigekommen. Dann habe er sich spontan angeschlossen.

Politikerin fühlte sich bedroht

Anna Katharina Bölling

Auch Anna Katharina Bölling sagte am Freitag vor dem Amtsgericht aus. Die jetzige Regierungspräsidentin schilderte, wie sie den Abend des 3. Januar erlebte. Sie war mit ihrem Mann und ihren damals eineinhalbjährigen Zwillingen zu Hause, als sie am Wickeltisch stehend, Polizeifahrzeuge vor ihrem Haus bemerkte. Sie habe sich bedroht gefühlt und empfinde in ungewohnten Situationen auch heute noch Beklemmungen, so die Politikerin.

Angeklagter schreibt Brief an Landrätin

Ihr Nachbar habe ihr zwar am nächsten Tag einen Brief zukommen lassen, in dem er sein Bedauern über die Beleidigung äußerte. Diesen Brief habe sie aber nicht beantwortet, sondern Anzeige erstattet. Bölling bezeichnete ihr Verhältnis zu dem Mann als angespannt.

Angeklagter schon zuvor wegen Anti-Corona-Aktionen aufgefallen

Der Zahnarzt hatte selbst ausgesagt, dass er in der Pandemie angefangen habe zu recherchieren und sich vom ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn und dem Virologen Christian Drosten "nichts vorschreiben lassen" wolle. In Minden wurde der Mann laut Aussage Böllings dann auch aktiv. Er habe Petitionen eingereicht und sei mehrfach im Kreishaus wegen Verstößen gegen die Maskenpflicht aufgefallen.

Gesellschaft und Politik: "Rote Linie" überschritten

Bürger und Politiker äußerten sich nach dem Vorfall schockiert. Für viele war damit eine „rote Linie“ überschritten. Tausende Personen bildeten eine Menschenkette in Minden, um ein Zeichen ihrer Solidarität mit Anna Katharina Bölling zu setzen.

Die 42-Jährige, die heute die Regierungspräsidentin in Detmold ist, wandte sich damals in einer Videobotschaft an die Öffentlichkeit. Die Tat habe sie und ihre Familie sprach- und fassungslos gemacht, sagte Bölling: „Das Eindringen in eine Privatsphäre, wo kleine Kinder leben, ist für mich eine klare Grenzüberschreitung und hat mit dem demokratischen Diskurs nichts mehr zu tun.“

Sie dankte der Polizei für ihr umsichtiges und schnelles Handeln. Auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) war nach Minden gekommen, um den Einsatzkräften persönlich zu danken. Auch er verurteilte die Tat.

Über dieses Thema berichtet der WDR am 21.10.2022 in Hörfunk und Fernsehen, u. a. in der Lokalzeit OWL im WDR Fernsehen.