Heimliche Liebe: Münsteraner erinnert sich an "Schwulen-Paragrafen"
Stand: 11.06.2024, 17:25 Uhr
An die endgültige Abschaffung des sogenannten "Schwulen-Paragrafen" vor 30 Jahren kann sich der Münsteraner Richard Halberstadt noch gut erinnern. Aus Angst vor Diskriminierung hatte der heute 74-Jährige seine Homosexualität jahrzehntelang verheimlichen müssen.
Von Petra Brönstrup
Richard Halberstadt hat sein halbes Leben lang seine Beziehungen zu Männern verheimlichen müssen. Und noch heute vermeidet er es, mit seinem Partner Arm in Arm über Münsters Straßen zu bummeln. "Meine Beziehung ist privat, das gehört nicht in die Öffentlichkeit", sagt der 74-jährige Münsteraner.
Homosexualität galt als Straftat
Richard Halberstadt wurde 1950 in einem kleinen Dorf im Kreis Warendorf geboren, die Schulzeit verbrachte er in einem katholischen Internat im Sauerland. "Mit 14 wußte ich, dass ich schwul bin. Aber das durfte damals niemand wissen, das war strengstens verboten. Dafür kamen Leute ins Gefängnis."
1970 zog der damals 20-jährige Richard Halberstadt nach Münster und begann dort seine Ausbildung zum Buchbinder. "Das war eine ganz neue Welt für mich. Denn anders als auf dem Land gab es in der Stadt Orte, wo sich Homosexuelle trafen, Bars und Clubs, natürlich alles noch illegal."
Trotz Entkriminalisierung keine Anerkennung
Richard Halberstadt beim CSD in Köln: heute selbstverständlich, früher undenkbar
Zwar wurden zu der Zeit Homosexuelle nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Dafür hatte der Gesetzgeber gesorgt. Er hatte durch das sogenannte 1. Strafrechtsänderungsgesetz, das am 1. September 1969 in Kraft trat, die "einfache Homosexualität" entkriminalisiert.
Doch der Paragraf 175 war weiterhin Bestandteil des Strafgesetzbuches. Der Gesetzgeber glaubte, Jugendliche vor Homorsexuellen schützen zu müssen. Und: Die moralische Verurteilung und Ächtung von Homosexuellen in der Gesellschaft ging unvermindert weiter.
Für Richard Halberstadt und andere Homosexuelle hieß das, dass sie ihre Homosexualität weiterhin nur im Verborgenen leben konnten. "Wir hatten eine Riesenangst entdeckt zu werden", erinnert sich Richard Halberstadt. "Wenn mein Arbeitgeber damals erfahren hätte, dass ich schwul bin, dann wäre ich wahrscheinlich rausgeflogen."
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Gleichzeitig hat Richard Halberstadt schon als junger Mann für die Anerkennung von Homosexuellen gekämpft. Er war dabei, als zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland homosexuelle Menschen auf die Straße gingen, um auf ihre gesellschaftliche Ächtung und rechtliche Diskriminierung aufmerksam zu machen. Das war am 29. April 1972 in Münster.
Weiterhin im Einsatz für die Rechte von queeren Menschen
"Die Abschaffung des Schwulen-Paragrafen 175 am 11. Juni 1994 war sicherlich ein wichtiger Schritt im Kampf um Respekt, Anerkennung und Gleichberechtigung von Homosexuellen", sagt Richard Halberstadt. Aber für ihn ist der Kampf auch heute noch nicht zu Ende.
Der 74-Jährige ist nach wie vor in der Schwulen-Szene engagiert, insbesondere für homosexuelle Flüchtlinge. Er arbeitet für Vorstand des KCM-Schwulenzentrums Münster und ist als CDU-Parteimitglied auch im Verband Lesben und Schwule in der Union (LSU-NRW) aktiv.
Quellen:
- WDR-Reporterin im Gespräch mit Richard Halberstadt
- KCM Münster
- Lesben- und Schwulenverband (LSVD)