Bundeswehr-Soldat:innen

Rückkehr zur Wehrpflicht: Darum geht es derzeit in der Debatte

Stand: 12.04.2025, 09:04 Uhr

Kommt die Wehrpflicht zurück? Was haben Union und SPD dazu im Koalitionsvertrag vereinbart? Was ist mit Frauen und was steht einem verpflichtendem Gesellschaftsjahr im Wege? Fragen und Antworten rund um das Thema.

Von Oliver ScheelOliver Scheel

"Ich bin bereit, dieses Land zu verteidigen. Ich fühle mich verbunden mit diesem Land. Den Lebensstandard, den ich habe, verdanke ich Deutschland." Das sagt Arthur Stroh, ein junger Mann, auf der Bonner Hofgartenwiese dem WDR.

Die Aufrüstung der Bundeswehr, die Deutschland nun angeht, hat auch die Debatte über eine Rückkehr der Wehrpflicht wieder angestoßen. Die Mängelliste bei der Bundeswehr ist lang. Die Kasernen sind marode, die Ausstattung ist schlecht. Und dazu kommt fehlendes Personal. Dieses Problem könnte mit einer Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht behoben werden. Union und SPD haben sich aber auf ein anderes Modell geeinigt.

Wie viele Soldaten braucht die Bundeswehr?

Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, steht an Deck des Minenjagdboots.

Eva Högl, Wehrbeauftragte

Die Bundeswehr spricht von einer "Zielgröße" von 203.000 Soldaten bis 2031. Das wäre eine personell gut ausgestattete Bundeswehr. Derzeit arbeiten etwa 181.000 Menschen bei der Truppe. Trotz der Bedrohungslage in Europa durch eine aggressive russische Armee und eine US-Regierung, die uns zunehmend den Rücken kehrt, ist aber die Zahl der aktiven Soldaten nicht gestiegen, sondern sogar gesunken. Das hatte die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) vor wenigen Wochen in ihrem Jahresbericht bestätigt.

Ein Grund sei der wachsende Anteil von Soldaten, die aufgrund ihres Alters aus dem Dienst ausscheiden. Bei den Unteroffizieren und Offizieren seien knapp ein Fünftel der Posten unbesetzt, bei den Mannschaften mit 28 Prozent sogar mehr als ein Viertel. Dem Bundeswehr-Ziel, die Personalstärke auf mehr als 200.000 zu steigern, ist man also nicht näher gekommen.

Interview mit der Wehrbeauftragten des Bundestags, Eva Högl

WDR Studios NRW 12.04.2025 05:53 Min. Verfügbar bis 12.04.2027 WDR Online


Sogar 460.000 Soldaten nötig?

Im WDR-Interview brachte die Wehrbeauftragte Högl sogar die deutlich höhere Zahl von 460.000 Soldaten ins Gespräch. Dabei bezog sie sich auf Aussagen von Generalinspekteur Carsten Breuer. Der hatte der "Welt am Sonntag" gesagt, aus den NATO-Verpflichtungen und Deutschlands Rolle als logistische Drehscheibe für einen Truppenaufmarsch an der Ostflanke sei dieser Bedarf abzuleiten. Mit Blick auf das Ziel von rund 200.000 aktiven Soldaten seien also 260.000 Reservisten nötig. Sie halte diese Zahlen für realistisch, sagte Högl im WDR.

Wie einfach wäre eine Rückkehr zur Wehrpflicht?

Im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Sie wurde also nicht abgeschafft, sondern sie ruht. Aus Sicht der Politik gab es zu der Zeit keine unmittelbare Bedrohung mehr, die eine so große Armee nötig gemacht hätte. Damals wurde an den Militärausgaben gespart. Außerdem flammte die Diskussion um die Wehrgerechtigkeit auf. Denn nicht alle wehrfähigen Männer wurden eingezogen.

Nun aber ist die Bedrohung durch einen äußeren Feind wieder real. Die sicherheitspolitische Lage in Europa hat sich grundlegend geändert.

Bundesnachrichtendienst und Bundeswehr warnen so deutlich wie selten zuvor vor der Gefahr eines russischen Angriffs auf NATO-Territorium. Laut Recherchen von WDR, NDR und SZ geht aus neuen Lagebewertungen europäischer Nachrichtendienste hervor, dass Russland bis zum Ende der Dekade wohl alle Voraussetzungen schaffe, einen "großmaßstäblichen konventionellen Krieg" führen zu können.

"Wir müssen kriegstüchtig werden. Ich weiß, das klingt hart." Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Herbst 2023

Um die Truppengröße zu erweitern, wird also schon seit einer Weile über eine Reaktivierung der Wehrpflicht diskutiert. Und die könnte in Friedenszeiten sogar mit einfacher Mehrheit im Parlament wieder in Kraft gesetzt werden. Die politischen Hürden wären also nicht hoch. In der Praxis wäre das aber nicht umsetzbar, betont die Wehrbeauftragte Högl im WDR. Die Bundeswehr sei dafür überhaupt nicht ausgestattet. 

Denn Kasernen und Liegenschaften wurden damals verkauft. Die Wehrersatzämter, in denen die Musterungen der jungen Männer damals durchgeführt wurden, wurden abgeschafft. Auch fehlt es an Personal dafür. Es müssten also erst die notwendigen Strukturen wieder aufgebaut werden.

Worauf setzen Union und SPD im Koalitionsvertrag?

Antrittsbesuch von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius bei der Cybertruppe.

Boris Pistorius, seit 2023 Bundesverteidigungsminister

In ihrem Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD nun auf einen "neuen attraktiven Wehrdienst" nach schwedischem Vorbild geeinigt. Dieser soll "zunächst auf Freiwilligkeit" basieren. Männer ab 18 Jahren müssten nach den vereinbarten Plänen künftig einen Fragebogen ausfüllen, bei Frauen ist es freiwillig. Dann spricht die Bundeswehr die für sie geeigneten Personen an, ob sie einen Grundwehrdienst ableisten wollen.

Das entsprechende Gesetz sei weitgehend vorbereitet, sagte Bundesverteidigungsminister Pistorius dem "Spiegel". Es könnte noch dieses Jahr in Kraft treten.

Warum sind Frauen eigentlich vom Wehrdienst ausgenommen?

Im Jahr 1955, dem Gründungsjahr der Bundeswehr, wurde Frauen der Dienst an der Waffe per Gesetz verboten. 1975 wurden Frauen im Rahmen der Debatte um Geschlechtergerechtigkeit für den Sanitätsdienst zugelassen, 1991 durften sie dann alle Laufbahnen im Sanitäts- und Militärmusikdienst besetzen.

Am 11. Januar 2000 entschied der Europäische Gerichtshof, dass auch Frauen zum Dienst an der Waffe berechtigt sind. Geklagt hatte Tanja Kreil aus Hannover im Jahr 1996. Und so wurden im Jahr 2001 alle Laufbahnen bei der Bundeswehr für Frauen geöffnet - auf freiwilliger Basis.

Soldaten der Bundeswehr üben im Rahmen ihrer Grundausbildung im Spezialpionierbataillon 164 in Husum an Handfeuerwaffen.

Soldatinnen der Bundeswehr in ihrer Grundausbildung

Wenn Deutschland nun eine Wehrpflicht für Frauen und Männer einführen wollte, dann ginge das nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat. Das wäre nämlich eine Änderung im "Charakter der Wehrpflicht".

Eine Wehrpflicht nur für Männer finde sie "falsch und auch nicht mehr zeitgemäß", sagte die Wehrbeauftragte Högl im WDR-Interview. Aber leider habe die wahrscheinlich kommende Koalition keine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Und eine solche Mehrheit zur Änderung des Grundgesetzes ist laut Högl in der nächsten Zeit auch nicht sichtbar.

Was ist mit einem verpflichtenden Gesellschaftsjahr für Männer und Frauen?

Die Wehrbeauftragte Högl von der SPD hält viel von solch einem Gesellschaftsjahr: "Das könnte man in allen Bereichen unserer Gesellschaft absolvieren, im sozialen Bereich, im Umweltbereich, Kultur, Blaulichtorganisationen und eben auch bei der Bundeswehr". Das würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt mit Sicherheit stärken, meinte Högl. Auch die CDU ist für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, das sie "perspektivisch" für junge Menschen einführen möchte.

Bischof Franz-Josef Overbeck spricht während einer Pressekonferenz in Essen am 06.03.2020

Franz-Josef Overbeck, Militärbischof

Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck sieht Vorteile für andere soziale Bereiche: "Wenn wir darauf schauen, welche Nöte wir in den Krankenhäusern, Altenheimen, Hospizen, Kindergärten und Schulen mit der sozialen Betreuung der Menschen haben, dann ist es wichtig, dass wir uns hier mutig nach vorne entwickeln."

Allerdings sind die Hürden auch dafür hoch, denn es müsste eine Grundgesetzänderung her. Und die muss mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Und es gibt ein weiteres Problem: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht." So steht es in Artikel 12 Absatz 2 im Grundgesetz. Hier müssten Juristen also sicher noch einige Steine aus dem Weg räumen.

Wie machen es andere Länder?

Dänemark führt nun ganz aktuell die Wehrpflicht für Frauen ein. Frauen, die nach dem 1. Juli dieses Jahres 18 Jahre alt werden, können im Laufe des Jahres 2026 zur Ableistung des Wehrdienstes eingezogen werden. In Dänemark galt die Wehrpflicht bislang nur für Männer ab 18 Jahren.

Dänemark wird somit das zweite EU-Land, in dem eine Wehrpflicht für Frauen besteht. In Schweden gilt diese seit 2017. Dort werden aber beileibe nicht alle 18-Jährigen eingezogen, sondern nur die gesündesten und fittesten. Einen Fragebogen müssen aber alle 18-jährigen Schweden und Schwedinnen ausfüllen. Auch in Norwegen, das zwar Mitglied der NATO, aber nicht der EU ist, müssen Frauen den Wehrdienst antreten.

Dänen beschließen Wehrdienst für Frauen: Was machen wir?

Aktuelle Stunde 26.03.2025 32:01 Min. UT Verfügbar bis 26.03.2027 WDR Von Alexa Schulz

In Israel sowieso. Ab dem 18. Lebensjahr müssen alle Israelis Wehrdienst leisten. Männer dienen in der Regel zwei Jahre und acht Monate, Frauen zwei Jahre. Seit Juni 2024 sind auch ultraorthodoxe Juden in Israel zum Wehrdienst verpflichtet.

Dürfte man in Deutschland dann immer noch verweigern?

Ja, das Grundgesetz ist hier eindeutig. In Artikel 4 Absatz 3 heißt es: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Damit wird das Recht garantiert, den Kriegsdienst verweigern zu können.

Unsere Quellen:

  • WDR-Interview mit Eva Högl
  • bundeswehr.de
  • bundestag.de
  • bundesregierung.de
  • Bundeszentrale für politische Bildung
  • tagesschau.de
  • Agenturen KNA, epd, dpa, Reuters

Kommentare zum Thema

51 Kommentare

  • 51 Karl 13.04.2025, 21:41 Uhr

    Warum sollte Russland die BRD angreifen? Was gibt es hier zu holen? Warum sollte sich der böse Ivan solch einen nutzlosen, in jeglicher Hinsicht kom ...weiterlesen

  • 50 Gustav Gans 13.04.2025, 05:37 Uhr

    Selten so viel realitätsfernen Unsinn gelesen.

  • 49 Ex-Reservist Willi 13.04.2025, 01:11 Uhr

    Arthur Stroh auf der Bonner Hofgartenwiese, mag einen tollen Lebensstandart haben, viele andere nicht. Auch ich hatte hatte Mitte 70er Aussicht auf ...weiterlesen