Wehrdienst-Pläne: Angst vor Krieg in der jungen Generation?
Aktuelle Stunde . 12.06.2024. 39:17 Min.. UT. Verfügbar bis 12.06.2026. WDR. Von Anna Deschke.
Neuer Wehrdienst: Pistorius will Musterungsabfrage ab 18
Stand: 12.06.2024, 17:39 Uhr
Eine Wehrpflicht wie früher ist vorerst nicht geplant. Aber jeder Mann, der 18 wird, soll in Zukunft verpflichtet werden, einen Musterungsfragebogen auszufüllen. So stellt sich Verteidigungsminister Pistorius den neuen Wehrdienst vor.
"Kriegstüchtig" soll Deutschland werden, hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gesagt. "Man muss davon ausgehen, dass Russland ab 2029 militärisch in der Lage seien wird, einen NATO-Staat anzugreifen" so Pistorius am Mittwoch. Denn Russland befinde sich in einer Kriegswirtschaft und rüste auf. Die Zeit dränge deshalb, der Bundeswehr zu mehr Reservisten zu verhelfen. "Es geht darum, alles dafür zu tun, dass wir so abschreckungsfähig sind, dass es gar nicht erst zu einem Konflikt kommt", so Pistorius auf der Pressekonferenz zu seinen Plänen.
Warum gibt es jetzt Pläne für einen neuen Wehrdienst?
Verteidigungsminister Pistorius beobachtet Soldaten bei Schießübung
Trotz einer Personaloffensive ist die Bundeswehr bis 2023 auf 181.500 Soldatinnen und Soldaten geschrumpft. Verteidigungsminister Pistorius ließ deshalb - unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine - verschiedene Modelle einer Dienstpflicht prüfen.
Was sind Pistorius' Pläne genau?
Jeder Mann, der 18 Jahre alt wird, soll verpflichtet werden einen Musterungsfragebogen auszufüllen. Wenn er da grundsätzlich Interesse bekundet, soll er zur Musterung eingeladen werden. Von rund 400.000 Männern, sollen 40.000 bis 50.000 zur Musterung eingeladen werden. Die ersten Fragebögen sollen schon 2025 verschickt werden.
Der 19-jährige Reiner Doberschütz im Jahr 2005 bei der Musterung
"Wir wollen nicht zurück zu der alten Wehrpflicht“, sagt Pistorius. "Mehrere hunderttausend Männer jedes Jahr zu mustern und dann einzuziehen, das war nie der Plan." Stattdessen sollen 5.000 pro Jahr für den Wehrdienst ausgewählt werden. Laut Pistorius die, die am "fittesten und motiviertesten" sind.
Die Zahl von 5.000 reicht laut Pistorius eigentlich nicht. "Die Kapazitäten sind der limitierende Faktor", so Pistorius. Mehr könnte die Bundeswehr aktuell schlicht nicht ausbilden, er würde sich sonst 20.000 wünschen. Er sieht seinen Vorschlag deshalb auch nur als Einstieg. "Das wird nicht reichen", sagt er selbst.
Seine Pläne will er vor der Sommerpause durchbringen, so dass noch 2025 die ersten Kapazitäten aufgebaut werden können. Das sei ein wichtiger erster Schritt, um danach noch weiter gehen zu können. Aktuell könnten wir "im Verteidungsfall nicht einmal mobilisieren, weil wir nicht wüssten, wen wir einziehen können", so Pistorius. Die Wehrerfassung soll deshalb mit dem neuen System neu aufgesetzt werden.
Warum keine Frauen?
Pistorius würde sich eigentlich eine generelle Dienstpflicht wünschen, die auch Frauen einschließt. Dazu müsste aber das Grundgesetz geändert werden und der Verteidigungsminister will schnell starten. Im Artikel 12a des Grundgesetzes ist festgeschrieben, dass nur Männer zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden können.
Sollte der Verteidigungsfall eintreten, können zwar auch Frauen verpflichtet werden, allerdings nur in zivilen Sanitätseinrichtungen. Frauen sollen aber laut Pistorius ganz gezielt auch angesprochen werden und den Fragebogen freiwillig ausfüllen.
Wie lange soll der Wehrdienst dauern?
Mindestens sechs Monate sind geplant. Wer sich aber zu Beginn schon verpflichtet, länger zu bleiben, soll Prämien bekommen. Hier hat Pistorius unterschiedliche Ideen vorgestellt, etwa einen kostenlosen Führerschein, Zuschüsse zu Studienkrediten oder Sprachkurse. Maximal sind 23 Monate Wehrdienst geplant.
Wie viele Männer sind derzeit in NRW im wehrpflichtigen Alter?
Laut Statistischem Landesamt NRW gab es zum Stichtag 31. Dezember 2022 insgesamt 2,93 Millionen Männer in Nordrhein-Westfalen im Alter zwischen 18 bis unter 45. Der Frauenanteil in dieser Altersgruppe liegt bei 2,83 Millionen Personen. Zahlen für 2023 liegen noch nicht vor. Frauen sind laut Grundgesetz bisher nicht zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet. Sie können auf freiwilliger Basis einen Wehrdienst absolvieren.
Als Wehrpflichtig gelten alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind. Sie können zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. So ist es in Artikel 12a des Grundgesetzes verankert. Männer, die älter als 23 Jahre sind, werden in aller Regel nicht mehr eingezogen. Wie es im Verteidigungsfall wäre, ist offen. Die Wehrpflicht endet offiziell mit Vollendung des 45. Lebensjahres.
Wie ist die Bundeswehr in NRW aufgestellt?
Laut Landeskommando NRW gibt es derzeit 28.000 militärische Dienstposten im Land, verteilt auf 25 Standorte. Nach Niedersachsen und Bayern ist NRW damit der drittgrößte Bundeswehrstandort in Deutschland.
Kreiswehrersatzämter, die früher für die Musterung der Wehrpflichtigen zuständig waren, gibt es nicht mehr. Einen Teil dieser Aufgaben haben sogenannte Karrierecenter übernommen. Davon gibt es in NRW derzeit eines - in Düsseldorf.
2011 war in Deutschland die Wehrpflicht ausgesetzt worden – warum?
Die Wehrpflicht war in Deutschland nach 55 Jahren 2011 unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzt worden. Die Wehrpflicht erschien damals als ein Überbleibsel vergangener Zeiten. Ein Verteidigungsfall war schwer vorstellbar, zumal Deutschland von befreundeten Staaten umgeben war.
Die Aussetzung der Wehrpflicht war 2011 Teil der angestrebten Streitkräftereform, mit der die Bundeswehr von damals rund 255.000 Soldaten auf bis zu 185.000 verkleinert werden sollte. Das Ende der Dienstpflicht gilt jedoch ausschließlich in Friedenszeiten, im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann sie wieder aktiviert werden. Dafür muss der Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit den Weg freimachen.
Welche Folgen hatte das Aussetzen des Grundwehrdienstes für den Zivildienst?
Zivildienstleistender in der Altenpflege
Weil die Pflicht für einen Grundwehrdienst ausgesetzt ist, besteht aktuell auch keine Pflicht für einen Ersatzdienst. Anstelle eines Zivildienstes gibt es einen Bundesfreiwilligendienst. Damit sollen möglichst viele Menschen für ein soziales Engagement und den Einsatz für die Allgemeinheit gewonnen werden. Wie sich eine reformierte Wehrpflicht, die nur einen kleinen Anteil junger Männer zur Bundeswehr holen würde, auf eine möglichen zivilen Ersatzdienst auswirken würde, ist derzeit unklar.
Der Bundesfreiwilligendienst steht Frauen und Männern jeden Alters und jeder Nationalität offen. Er ist sowohl in sozialen Einrichtungen, als auch in anderen Bereichen wie Umweltschutz, Sport und Kultur im Inland möglich.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- Website des Deutschen Bundestages
- Auswärtiges Amt
- Wehrpflichtgesetz
- Grundgesetz
- Statistisches Landesamt