Visum für ein Staat des Schengen Raums

Pro und Contra: EU-Einreisestopp für Touristen aus Russland?

Stand: 23.08.2022, 08:55 Uhr

Estland, Lettland, Litauen und Tschechien machen es vor, die EU-Kommission diskutiert noch: Sollen die Schengen-Visa für russische Staatsbürger ausgesetzt werden? Was Politiker in Deutschland zu dieser Frage sagen.

Direkte Flug- und Zugverbindungen sind gekappt, eine Reise von Russland nach Mitteleuropa oder andersherum funktioniert nur über Umwege und mit Zwischenstopps: Wer als Russe oder Russin nach Europa reisen will, hat es seit Beginn des Krieges in der Ukraine schwer. Und: Die EU diskutiert über weitere Einreisebeschränkungen.

Estland im Baltikum ist dabei Vorreiter - es erkennt seit Donnerstag die von ihm selbst ausgestellten Schengen-Visa für russische Staatsbürger nicht mehr an, neue werden nicht mehr erteilt. Entsprechend dürfen Russinnen und Russen - selbst für Zwischenstopps - nicht mehr einreisen. Auch Finnland, wo aktuell viele über den Landweg einreisen, stellt bereits weniger Visa aus. Ebenso Lettland, Litauen und Tschechien.

Ein Schlupfloch: Sind die Schengen-Visa von anderen Staaten ausgestellt, dann ist die Einreise auch in Estland noch immer zulässig. Zumindest solange, wie Deutschland und die anderen Länder der EU einen Visa-Stopp ablehnen.

Was ist ein sogenanntes Schengen-Visum?

Mit einem Schengen-Visum dürfen Nicht-EU-Bürger durch das Schengen-Gebiet reisen oder sich bis zu 90 Tage darin aufhalten. Erteilt wird es von den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland, also den Botschaften und Generalkonsulaten. Dies geschieht aber nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden:

  • Der Antragstellende muss plausibel erklären können, warum er oder sie nach Deutschland reisen will.
  • Er oder sie muss nachweisen können, dass er oder sie die Kosten für die Reise sowie Verpflegung und Unterkunft in dieser Zeit finanzieren kann.
  • Der Antragstellende muss bereit sein, nach spätestens 90 Tagen wieder den Schengen-Raum zu verlassen.
  • Und es muss eine gültige Reisekrankenversicherung mit einer Mindestdeckungssumme von 30.000 Euro für die gesamte Aufenthaltszeit vorliegen.

Wie viele Schengen-Visa stellt die Bundesregierung für russische Staatsbürger aus?

Nach Informationen des Auswärtigen Amtes hat Deutschland seit dem Beginn des Ukrainekriegs vor sechs Monaten 14.237 Schengen-Visa an russische Staatsbürger erteilt. Das sind fast doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr (8.852), jedoch weniger als ein Zehntel der Visa, die in den Monaten März bis Juli im Jahr 2019 ausgestellt wurden (153.027).

Rückschlüsse auf die Auswirkungen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine auf die Zahl der Visa, die russischen Bürgern erteilt wurden, können sich laut Auswärtigem Amt allein wegen der Corona-Pandemie nicht ziehen. Bis zum 11. Juni dieses Jahres konnten nämlich nur Russinnen und Russen ein Visum beantragen, die mit einem von der EMA anerkannten Impfstoff geimpft waren.

Welche Politiker sind gegen einen Visa-Stopp?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seiner ersten Sommer-Pressekonferenz.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will, dass das auch so bleibt. Sein Argument: "Das ist Putins Krieg" - ein offizieller Einreisestopp hingegen würde vor allem die Zivilbevölkerung treffen, die mit dem Krieg nichts zu tun habe. Deutschland wolle nicht den Weg für diejenigen versperren, die Freiheit suchen und der "Diktatur in Russland" entkommen wollen.

Ulrich Lechte (FDP) argumentiert im WDR: "Ich bin ein Kind der 70er und kann mich noch gut an die nicht vorhandene Reisefreiheit erinnern", so der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. "Ich glaube, dass wir noch nicht an der Stelle sind, dass wir den Kalten Krieg wieder einführen. Dazu gehörte halt auch, dass man sich gegenseitig nicht besuchen konnte."

Und auch der Vorsitzende der Grünen Omid Nouripour sieht die Überlegungen kritisch. Gegenüber der dpa erklärte er, dass er die Gefühle derjenigen, die touristische Reisen russischer Bürger in die EU unterbinden wollten, zwar verstehe. Den Besuch von Touristen aus Russland sieht er jedoch als Chance für diese, in den Staaten der EU Rechtsstaatlichkeit zu erleben. Das sei etwas, "was sehr, sehr hilfreich ist, gerade gegen solche Diktaturen", so Nouripour.

Welche Politiker sind für einen Visa-Stopp?

Umfragen zufolge stehen etwa 80 Prozent der russischen Bevölkerung hinter Putin - Massenproteste gegen den Krieg in der Ukraine sollen bisher ausgeblieben sein. Diese Werte könnten, entsprechen sie den tatsächlichen Zahlen, für einen Visa-Stopp sprechen.

So sieht es zumindest Thomas Erndl (CSU), Vizechef des Auswärtigen Amtes im Bundestag. Er sagte im WDR: Man bestrafe mit einem Einreisestopp für russische Touristen nicht die falschen.

"Am Schluss ist die Bevölkerung eines Landes ja auch immer betroffen von den Handlungen der politischen Führung und dieses Argument müsste ja dann auch für die Wirtschaftssanktionen gelten, die natürlich auch viele, viele Menschen betreffen", so Erndl. Er fürchtet: Viele Touristen aus Russland würden den Aufenthalt in Mitteleuropa aktuell nutzen, um sich mit Waren einzudecken, die sie wegen des Krieges in der Ukraine in Russland nicht mehr bekämen. Und eher wenige der russischen Touristen hätten auch ein Problem mit Putin.

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Auch der Europapolitiker Dennis Radtke (CDU) sieht das so. Es sei "unerträglich, dass Russen in Europa Urlaub machen und ihr Geld verjubeln, als sei nichts geschehen", sagte er der "Bild"-Zeitung. Deutschland und Europa drohten aktuell "bei den Sanktionen und bei den Waffenlieferungen einzuschlafen". Wer Putin stoppen wolle, dürfe jetzt nicht locker lassen, sondern müsse mit einer Touristenvisa-Sperre für russische Staatsbürger nachlegen.

Und auch die Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), sieht das so: "Urlaubs-Visa für Russen müssen gestoppt werden. Urlaubsziele dürfen in Putins Russland nicht länger Paris und Porto sondern Pjöngjang und Peking heißen", sagte sie der "Bild". Es gehe darum, auch der russischen Bevölkerung klare Zeichen zu setzen.

Wie geht es weiter?

Ende des Monats könnten die EU-Außenminister eine gemeinsame Linie in der Visa-Frage erarbeiten. Könnten dann auch Erfahrungswerte an der Grenze zu Estland eine Rolle spielen? Nach Behördenangaben haben die Einreisebeschränkungen dort bislang keine größeren Auswirkungen - zumindest die Arbeitsbelastung habe sich nicht wesentlich erhöht. Neben Personen mit Schengen-Visa aus anderen Ländern darf aktuell auch weiterhin einreisen, wer einen Wohnsitz, ein Aufenthaltsrecht oder Verwandte in Estland hat.

Vor einem erneuten Treffen hat sich Litauens Außenminister für eine europaweite Regelung ausgesprochen. "Am besten sollte es eine Entscheidung auf europäischer Ebene sein, mit der einfach die Gültigkeit dieser Visa aufgehoben wird und jeder damit aufhören würde, sie zu auszustellen", so Gabrielius Landsbergis. Bei Deutschland und der EU-Kommission in Brüssel dürfte er damit auf verhärtete Fronten stoßen - hier zeichnet sich die Forderung nach einem grundsätzlichen Stopp von Touristenvisa bislang nicht ab.

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