Twitter: Elon Musk verkündet "Generalamnestie" für gesperrte Konten

Stand: 25.11.2022, 19:52 Uhr

Wer gegen Nutzerregeln verstoßen und deswegen bei Twitter gesperrt wurde, kann möglicherweise schon bald wieder twittern: Elon Musk will nächste Woche gesperrte Konten wieder freischalten. WDR-Digitalexperte Jörg Schieb über die Hintergründe.

Von Jörg Schieb

"Das Volk hat gesprochen. Nächste Woche beginnt die Amnestie", notiert der neue Twitter-Chef Elon Musk in einem seiner zahlreichen Tweets – und kündigt damit eine massenhafte Reaktivierung gesperrter Konten auf Twitter an. Musk hatte zuvor auf Twitter darüber abstimmen lassen, ob es für gesperrte Konten eine "Generalamnestie" geben soll, sofern diese nicht gegen Gesetze verstoßen oder Spam verteilt haben sollen.

72,4% für eine Reaktivierung

Elon Musks Umfrage: 72% stimmen für eine Reaktivierung gesperrter Konten

Rund 3,2 Millionen User haben abgestimmt – und zu 72,4% für den Vorschlag gestimmt, gesperrte Twitter-Konten zu reaktivieren. Den von Ex-Präsident Donald Trump inklusive (damit hatte die Diskussion begonnen). Rund ein Drittel der User sind der Ansicht, dass gesperrte Konten nicht in Bausch und Bogen wieder freigeschaltet werden sollten.

"Vox populi, vox dei", schreibt Elon Musk unter das Abstimmungsergebnis. Was übersetzt so viel bedeutet wie "Volkes Stimme ist Gottes Stimme" – oder übertragen: Die öffentliche Meinung hat Gewicht.

Nach jüngsten Angaben verzeichnet Twitter derzeit etwa 230 Millionen täglich aktive Nutzer.

Schon kommende Woche soll die Amnestie laut Musk beginnen. Er will damit zweifellos sein Versprechen einlösen, Twitter zu einer Plattform mit maximaler Redefreiheit zu machen. Wie er - mit drastisch reduzierter Personaldecke - prüfen möchte, welche Accounts gegebenenfalls aufgrund von Rechtsverstößen gesperrt wurden, bleibt offen.

Kritiker sagen: Umfrage ist nicht repräsentativ

Kritiker wie Netzaktivist Markus Beckedahl von netzpolitik.org weisen darauf hin: Auch wenn 3,2 Millionen User abgestimmt haben, ist das nur ein kleiner Teil der fast 120 Millionen Follower, die Elon Musk hat – und ein noch kleinerer Teil der gesamten Community (nicht mal 5%). Von einer repräsentativen Umfrage kann also keine Rede sein. Außerdem: Niemand kann wissen, wie viele "Bots" aktiv waren und "abgestimmt" haben, möglicherweise sogar von Musk selbst gesteuert.

Für viele kam die Abstimmung und anschließende Amnestie-Ankündigung überraschend. Denn noch Ende Oktober hatte Musk auf Twitter angekündigt, vor der Reaktivierung gesperrter Twitter-Konten einen Rat zum Umgang mit kontroversen Inhalten bilden zu wollen. Davon ist keine Rede mehr. Elon Musk entscheidet allein – und bezieht sich dabei auf das Ergebnis einer nicht repräsentativen und darüber hinaus unmöglich zu kontrollierenden Abstimmung.

Eine Ausnahme macht Elon Musk dann doch: Noch am Sonntag hatte der Tech-Milliardär erklärt, dem Verschwörungstheoretiker Alex Jones keine Plattform auf Twitter geben zu wollen. Hier schließt Musk eine Rückkehr aus – trotz Abstimmung.

"Regulierungsinstanzen überfordert"

Laut Markus Beckedahl von netzpolitik.org stärken die aktuellen Entwicklungen "massive Bedenken, dass unsere demokratischen Regeln für einen solchen Fall nicht ausreichend funktionieren werden und Regulierungsinstanzen wahrscheinlich vollkommen überfordert sind."

Netzaktivist Markus Beckedahl kritisiert: Die Abstimmung ist nicht repräsentativ – und die Politik hat kaum Regulierungswerkzeuge

Obwohl Twitter eine für den öffentlichen Diskurs wichtige Plattform darstellt – praktisch alle Politiker, Entscheider und Journalisten sind hier aktiv –, gibt es keine erkennbaren Initiativen, in das aktuelle Chaos einzugreifen.

Beckedahl weiß auch, warum: "Alleine schon durch die Tatsache, dass auf einmal die meisten Ansprechpartner fehlen". Schließlich hat Musk mehr als die Hälfte der Belegschaft entlassen.

Über den Autor

Jörg Schieb, WDR-Digitalexperte.

WDR-Digitalexperte Jörg Schieb

Jörg Schieb, Jahrgang 1964, ist WDR-Digitalexperte und Autor von 130 Fachbüchern und Ratgebern. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf unseren Alltag.