Wahl in der Türkei: Wie groß ist Erdoğans Rückhalt in NRW?

Stand: 07.03.2023, 12:50 Uhr

Wer wird künftiger Präsident der Türkei? In NRW hatte Amtsinhaber Erdoğan bei den vergangenen Wahlen überdurchschnittlich viele Anhänger. Das könnte sich jetzt ändern. Sein Herausforderer, Kemal Kilicdaroglu, wird von sechs Oppositionsparteien unterstützt.

Seit 20 Jahren ist Recep Tayyip Erdoğan (69) in der Türkei an der Macht. Erst als Ministerpräsident, seit 2014 als Staatspräsident. Und auch bei der anstehenden Präsidentschaftswahl am 14. Mai will er wieder antreten. Seit gestern ist klar, wer sein größter Herausforderer wird: Der 74-jährige Kemal Kilicdaroglu, der der CHP-Partei vorsteht und den ein Bündnis aus sechs Oppositionsparteien zum Kandidaten erkoren hat.

Inflation, Umgang mit Oppositionellen, Einschränkung der Pressefreiheit

Der Wahlausgang ist derzeit ungewiss, Erdoğans Umfragewerte sehen nicht gut aus. Als Grund dafür werden unter anderem die hohe Inflation, die schlechte wirtschafliche Lage und zu späte und unzureichende Hilfe nach dem Erdbeben am 6. Februar genannt. Zudem wird Erdoğan vorgeworfen, die Pressefreiheit einzuschränken und Oppositionelle systematisch zu unterdrücken. In der Rangliste der Pressefreiheit, die die Organisation "Reporter ohne Grenzen" erstellt, liegt die Türkei derzeit auf Platz 149 von 180. Anfang März reichten Menschenrechtsanwälte Klage beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein. Sie werfen der türkischen Regierung vor, weltweit Oppositionelle zu entführen, zu foltern und unrechtmäßig zu inhaftieren.

Erdogan in NRW überdurchschnittlich beliebt bei der Wählerschaft

Laut IT.NRW leben derzeit knapp 500.000 Personen mit türkischem Pass in NRW. Bei den vergangenen Wahlen haben diese Erdoğan mehrheitlich unterstützt und ihm sogar bessere Ergebnisse als in der Türkei beschert. So stimmten im Juni 2018 bei der Präsidentschaftswahl 65 Prozent der hier lebenden türkischen Staatsbürger für Erdoğan und seine Partei. In der Türkei erreichte er nur 53 Prozent. Der damalige NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) zeigte sich darüber irritiert.

"Wenn sich Türken in Deutschland über die Wiederwahl von Erdoğan freuen, ist das befremdlich und traurig zugleich." Joachim Stamp, ehemaliger NRW-Integrationsminister der FDP

Kritik an Erdoğan wird lauter - auch hier

Beim Essener Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZFTI) beobachtet man die anstehende Wahl mit Spannung. ZFTI-Mitarbeiter Caner Aver geht zwar davon aus, dass Erdoğans AKP von den hier lebenden Türkinnen und Türken wieder zur stärksten Partei gewählt wird. Doch er traut dem Oppositionsbündnis rund um Kemal Kilicdaroglu durchaus zu, die Wahl gegen das AKP-Bündnis zu gewinnen.

"Der Abstand wird mit ziemlicher Sicherheit kleiner werden als bei der letzten Wahl." Caner Aver, Essener Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung

Die Kritik an Erdoğan Politik werde auch hier in der türkischen Community lauter. Zudem hätte sich die Struktur der Personen verändert, die in den vergangenen Jahren aus der Türkei zugewandert seien. "Zuletzt kamen eher Oppositionelle und Erdogan-Kritiker hierher. Teils aus wirtschaftlichen Gründen, teils wegen Repressalien, die sie in der Türkei erleben mussten", so Aver. Diese würden ihre Stimme eher Kemal Kilicdaroglu geben.

Politisches System der Türkei könnte sich ändern

Bei der Wahl im Mai geht es nicht nur um die Frage, wer Präsident wird. Sollten Erdoğan und sein Bündnis die Wahl gegen Kemal Kilicdaroglu verlieren, könnte sich das politische System der Türkei verändern. Erdoğan ließ 2017 über ein Präsidialsystem abstimmen, das ihm als Präsidenten mehr Macht über die Exekutive und einen größeren Einfluss auf die Justiz sichert. Das Referendum ging damals mit 51,4 Prozent pro Verfassungsänderung aus, die Opposition warf Erdoğan Wahlbetrug vor. Das von Kilicdaroglu angeführte Bündnis hat angekündigt, im Falle eines Wahlsieges das Präsidialsystem wieder abzuschaffen und durch eine parlamentarische Republik zu ersetzen.

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Fragen zum zukünftigen politischen System spielten laut Caner Aver allerdings keine entscheidende Rolle bei der Wahl. "Bei den Menschen, die hier leben, werden Wahlentscheidungen eher aus ideologischen, traditionellen und emotionalen Gründen getroffen", sagte er.