"Graue Panther"-Gründerin Trude Unruh ist gestorben

Stand: 02.08.2022, 11:30 Uhr

Die Gründerin der "Grauen Panther" ist tot: Trude Unruh starb im Alter von 96 Jahren. Mit ihrer kompromisslosen, oft schnodderigen Art kämpfte sie jahrzehntelang unermüdlich für ein würdiges Leben im Alter.

Von Nina Magoley

Ihren Tod bestätigte am Montagabend der Bundesverband Graue Panther. Trude Unruh starb nach WDR-Informationen bereits im November vergangenen Jahres.

Blonde, kurze Locken, tiefe Stimme – die öfters mal lautstark fluchend zu hören war. Ihr Markenzeichen: goldgerahmte Pilotenbrille. "Hört auf, alte Menschen ab 60 wie unmündige Kinder zu behandeln!", rief sie empört von mancher Bühne herab. Bei öffentlichen Auftritten, ob Kundgebung oder Radiointerview, redete sich "die Trude", wie sie von ihren Mitstreitern oft genannt wurde, schnell in Rage.

"Trotz dritter Zähne sind wir graue Panther, wenn es um Altenschutz geht", stellte sie in einem WDR-Interview einmal bissig klar. Ihr Credo: Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein im Alter. Auch wenn die körperlichen Kräfte schwinden, so ihre unentwegte Botschaft, kann der Mensch neugierig, lebendig und umtriebig bleiben. Den besten Beweis dafür lieferte sie selbst.

Unermüdlich an der eigenen Weiterbildung gearbeitet

Geboren am 7. März 1925 in Essen, fängt die junge Trude - damals heißt sie noch Kremer - mit 16 Jahren zunächst als Sachbearbeiterin bei Krupp an. Gerade mal 17, heiratet sie den zwei Jahre älteren, kriegsversehrten Helmut Unruh, der bis zu seinem Tod 1993 an ihrer Seite bleiben wird. Bei Krupp steigt die quirlige Westfälin bald bis zur Chefsekretärin auf – doch sie will mehr. In Seminaren über Unternehmensführung bildet sich die junge Frau weiter.

1968 tritt die nun 43-Jährige, inzwischen Mutter zweier Söhne, in die SPD ein. Ihre Themen: die Rechte der Frauen, Gleichberechtigung, gleiche Bildungschancen. Ihre Schwiegermutter sei es gewesen, so erzählt sie später, die sie schließlich dazu ermunterte, für die Rechte der Alten aktiv zu werden. "Mach mal was!", habe die alte Frau zu ihr gesagt, schockiert nach einem Besuch in einem Altersheim. Und Trude macht. Gemeinsam mit anderen Interessierten gründet sie 1975 in Wuppertal den "Seniorenschutzbund", der bald unter dem Beinamen "Graue Panther" berühmt wird.

Trude Unruh bei einer Protestaktion 1982 in Bonn mit der damaligen Bundesfamilienministerin Antje Huber (l.)

Trude Unruh bei einer Protestaktion 1982 in Bonn mit der damaligen Bundesfamilienministerin Antje Huber (l.)

Es könne nicht sein, findet die nun 50-Jährige Unruh, dass in Deutschland die, deren Kräfte schwinden, oft auch den Respekt der Gesellschaft verlieren. Die erklärten Ziele des neu gegründeten Vereins: Grundrente für alle, Reform der Heimunterbringung und Änderung des Entmündigungsrechts. Netzwerke für Ältere will sie schaffen, die im Alltag Unterstützung bieten.

Dazu gehören "Abrufdienste" für gegenseitige Hilfe, Urlaubsangebote für Gebrechliche, Hilfe bei Krankenhausaufenthalten. "Miteinander sprechen", predigt sie immer wieder, sei der Schlüssel zu einem würdigeren Leben alter Menschen in Deutschland. Kommunikation auch als Weg, die Scham über das eigene Altern, das Schwächerwerden, zu bewältigen. "Plötzlich stellt man fest, dass die Nachbarin auch nur 900 Mark Rente bekommt", sagt sie einmal in einem Hörfunkinterview.

Grüne als "Sprachrohr" der Grauen Panther

Mit Aktionen und Demonstrationen machen die Grauen Panther schnell auf sich aufmerksam: Ende der 1980er Jahre zählt der Alten-Verein rund 30.000 Mitglieder und 170 Vereinsfilialen deutschlandweit. Doch "die Trude" will weiter, sie will Politik machen. Die große Chance dazu bietet sich 1987, als Unruh für die Grünen in den Bundestag einziehen kann. Schon vier Jahre zuvor hatte sie den Grünen einen "Sprachrohrvertrag" abringen können, in dem sich die Ökopartei verpflichtete, die Interessen der Grauen Panther in der Bundespolitik zu vertreten. Immerhin war daraus ein Gesetzentwurf für eine staatliche Grundrente entstanden.

Raus aus den Grünen, rein in die Grauen

Doch ihr Einstieg in die aktive Bundespolitik – wenn auch als Parteilose – bringt der Chefin der Grauen Panther heftige Kritik aus den eigenen Reihen. Vielen scheint damit die Unabhängigkeit der "Alten-Gewerkschaft" auf dem Spiel zu stehen. Schließlich bricht der angestaute Unmut vieler Vereinsmitglieder über den Führungsstil ihrer eigenwilligen Vorsitzenden durch. Sie herrsche diktatorisch, heißt es, viele Mitglieder verlassen sogar den Verein.

Doch Trude lässt sich nicht beirren: "Die Grünen wissen, was sie sich mit mir angetan haben", erklärt sie selbstbewusst kurz vor der Bundestagswahl 1987, bei der sie auf Platz drei der nordrhein-westfälischen Landesliste, direkt hinter Antje Vollmer und Otto Schily, gesetzt worden ist.

Selbstbewusst klingt auch ihre Forderung, allein verantwortlich zu sein für Alten-Politik der Grünen: "Solange ich im Bundestag bin, wird das nur von mir gemacht." Damit aber ist sie offenbar zu weit gegangen: Im September 1989 schließen die Grünen Trude Unruh aus ihrer Fraktion aus. Unruh gründet schließlich ihre eigene Partei: "Die Grauen – Graue Panther" – Vorsitzende: natürlich Trude Unruh. Immerhin 0,8 Prozent der Stimmen erreichte die Alten-Partei schon gut ein Jahr später bei der Bundestagswahl 1990.

2008: Ermittlungen gegen die "Grauen"

Trude Unruh (mit Parteisymbol Panther im Hintergrund, 2005)

Der fauchende Panther als Parteisymbol. Trude Unruh 2005

Bis September 2007 bleibt Unruh Bundesvorsitzende ihrer Partei. Doch mit dem Rückzug der Gründerin auf die Position der "Ehrenvorsitzenden" geht es mit den "Grauen" bergab. Ende 2007 wird bekannt, dass die Grauen mit fingierten Spendenquittungen Millionen aus der staatlichen Parteienfinanzierung erschlichen haben - laut Gesetz bekommen Parteien für jeden Spenden-Euro noch einmal 38 Cent aus der Staatskasse. 8,5 Millionen Euro fordert der Bundestag zurück. Im März 2008 geben "Die Grauen" ihre Auflösung bekannt.

Kein Verdacht gegen Trude Unruh

Im Fokus des Prozesses um den Spendenskandal, der im Februar 2011 am Wuppertaler Landgericht beginnt, steht Vorstandsmitglied Ernst Otto Wolfshohl. Trude Unruh ist gar nicht mehr geladen - zum einen, weil die Ermittlungen gegen sie bereits eingestellt worden sind. Zum anderen aber, weil die zu diesem Zeitpunkt 85-Jährige – so heißt es im Februar 2011 - inzwischen "schwer dement" sei und sich an die Vorgänge in ihrer Partei nicht mehr erinnern könne. Tatsächlich tritt die bis dahin immer Streitlustige in der Öffentlichkeit nicht mehr auf.

"Grande Dame terrible"

Trude Unruh verblüffte ihre Gesprächspartner immer wieder mit ihrer direkten, fast schnodderigen Art, die stets wie eine Gratwanderung zwischen cleverem Kalkül und einer gewissen Naivität wirkte. In Interviews sprach sie offen über Sex im Alter, schnauzte schon mal ihre Gesprächspartner an, wenn die ihr zu unkonkret erschienen, genoss es, Tabus zu brechen. Sie trat als "Grande Dame terrible" auf, immer für einen frechen Spruch an die Adresse der Mächtigeren gut.

Ihre Argumente und auch Vorwürfe waren meist schwer zu widerlegen, die bissigen Schimpftiraden konnten ihre Seriosität wiederum ins Wanken bringen. Unterm Strich aber war Trude Unruh über viele Jahre die Stimme, die mit ihren Forderungen bei Politikern, Medien und Bürgern zumindest Denkprozesse in Gang setzte – auch wenn dabei manches ehrgeizige Ziel unerreicht blieb.

Der 10. Bundesparteitag der "Grauen Panther" 1997

Der 10. Bundesparteitag der "Grauen Panther" 1997

Zu ihrem 70. Geburtstag erklärte sie in einem Interview, sie werde von ihrem Ziel, „die Menschenwürde im Kapitalismus“ anzustreben, niemals ablassen. Und für diese Haltung, fügte sie hinzu, gebe es einen Namen: "Trudismus". Viele werden hoffen, dass der Trudismus auch ohne Trude Unruh weiterlebt.

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 02.08.2022 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.

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