Wahrscheinlich menschliche Überreste in "Titan"-Trümmern geborgen

Stand: 29.06.2023, 10:01 Uhr

Zehn Tage nach dem Verschwinden der "Titan" im Nordatlantik am Sonntag (18.06.2023) sind Trümmerteile des verunglückten Tauchboots an Land gebracht worden. Laut US-Küstenwache wurden dabei wahrscheinlich auch menschliche Überreste geborgen. Wie konnte es zu dem Unglück kommen?

Bereits am Donnerstagabend (22.06.2023) deutscher Zeit teilte die US-Küstenwache mit, dass die fünfköpfige Crew des Tauchboots "Titan" gestorben ist. Fast eine Woche später sind nun erste Trümmerteile des verunglückten Tauchboots an Land gebracht worden, und die US-Küstenwache geht davon aus, dass mit den Trümmern auch menschliche Überreste geborgen wurden. Die "Titan" ist samt der Besatzung mit einer enormen Kraft implodiert - und das in wenigen Millisekunden.

Drei Tage nach dem Verschwinden wurden in rund 3.800 Meter Tiefe - keine 500 Meter neben dem Wrack der "Titanic" - Trümmer des Unterwassergefährts gefunden. Die Küstenwache sprach da bereits von einer "katastrophalen Implosion". Doch wie genau kam es dazu? Und welche Konsequenzen hat die Katastrophe? Fragen und Antworten.

Implosion der "Titan": Was ist passiert - und wann?

Der britische frühere U-Boot-Kapitän Ryan Ramsay sagte der Nachrichtenagentur PA, womöglich sei die Luke, die von außen mit 17 Schrauben verschlossen werden musste, defekt gewesen. Eine andere Möglichkeit sei, dass es zuvor einen Defekt im Druckkörper selbst gegeben habe. Der genaue Zeitpunkt ist noch unbekannt.

US-Medien zufolge registrierte ein akustisches Unterwassererkennungssystem der US-Navy bereits am Sonntag ein auffälliges Geräusch. Das könnte darauf hinweisen, dass die "Titan" bereits implodierte, als der Kontakt zum Mutterschiff abbrach.

James Cameron, Regisseur des Hollywood-Films "Titanic" und zugleich Tiefsee-Entdecker, zufolge spricht auch der Fundort der Trümmer dafür, dass das Unglück bereits unmittelbar beim Kontaktabbruch geschah, als das Tauchboot noch unterwegs zum "Titanic"-Wrack war. Grund sei, dass nicht nur die Kommunikation mit der "Titan" abbrach, sondern das Boot gleichzeitig auch nicht mehr geortet werden konnte.

Was haben die Insassen von der Implosion des Tauchboots mitbekommen?

Der Druck auf das Tauchboot sei in so großer Tiefe enorm gewesen - die Implosion sei im Bruchteil einer Millisekunde passiert, zitierte der Sender CNN am Freitag die frühere Marineoffizierin Aileen Marty, Professorin für Katastrophenmedizin. Das menschliche Gehirn könne die Lage so schnell gar nicht erfassen.

"Das ganze Ding ist kollabiert, bevor die Menschen darin überhaupt bemerken konnten, dass es ein Problem gab." Aileen Marty, Professorin für Katastrophenmedizin

Warum ist das Tauchboot implodiert?

Bei einer Implosion bricht ein Objekt schlagartig zusammen, wenn der Außendruck größer ist als der Innendruck. Sie steht im umgekehrten Kräfteverhältnis zu einer Explosion. Schon der kleinste strukturelle Defekt kann in großer Tiefe eine solche Katastrophe auslösen.

Genauere Erkenntnisse darüber erhoffen sich Experten nun von den geborgenen Trümmerteilen. Nachdem Personal und Schiffe ab dem vierten Tag des Verschwindens vom Unfallort abgezogen wurden, konzentrierte sich ab dann die Suchaktion auf die Bergung der Trümmerteile. Nun untersuchen US-Experten, ob es sich wirklich um die "Titan" und Überreste der verstorbenen Crew handelt. Dafür wurden die Wrackteile am gestrigen Mittwoch nach St. John's auf der kanadischen Insel Neufundland gebracht.

Im Einsatzgebiet rund 700 Kilometer südlich von Neufundland hatten Trupps aus den USA und Kanada mit Hilfe weiterer Länder seit Verschwinden des Boots eine großangelegte Suche sowohl an der Wasseroberfläche als auch in der Tiefe des Ozeans gestartet. Im Einsatz waren Schiffe, Flugzeuge, Tauchroboter und andere Spezialausrüstung.

Können alle Leichen geborgen werden?

Eine kleine Hoffnung besteht, Teile aller Körper zu finden. Das ist aber sehr unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass ein Großteil der fünf Körper durch die Implosion zerstört und Überreste durch Meeresströmungen vom Unglücksort weggetragen wurden.

An Bord der "Titan" waren der französische Forscher Paul-Henri Nargeolet (77), der britische Abenteurer Hamish Harding (58), der britisch-pakistanische Unternehmensberater Shahzada Dawood (48), dessen Sohn Suleman Dawood (19) sowie der Chef der Betreiberfirma Oceangate, Stockton Rush (61), der das Boot steuerte.

Welche Erfahrungen haben frühere "Titan"-Reisende mit dem Tauchboot gemacht?

Arthur Loibl aus Bayern war vor zwei Jahren mit genau diesem Boot auf diesem Tauchgang. Aus heutiger Sicht würde er die Reise mit diesem Tauchboot nicht noch einmal machen. "Das war absolut verrückt - ein Himmelfahrtskommando", sagte Loibl im Gespräch mit dem BR.

Aufnahme von Arthur Loibl aus München

Arthur Loibl

"Man lässt sich im U-Boot absinken, es wird das Licht ausgeschaltet, man ist im absoluten Dunkeln", schilderte Loibl seine Erfahrungen. Das Absinken bis zur "Titanic" dauere etwa zweieinhalb Stunden. "Man ist auf engstem Raum eingesperrt, das U-Boot wird von außen verschraubt. Man sitzt zu fünft ohne Stuhl da drin. Es gibt keine Möglichkeit, dass die Leute selber rauskommen - auch wenn sie oben irgendwo treiben sollten. Wenn der Sauerstoff weg ist, haben die keine Chance."

Da der Kontakt zu dem U-Boot nach etwa eineinhalb Stunden abgerissen sei, vermutet Loibl, dass das U-Boot das Wrack zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht hatte.

Welche Konsequenzen hat die Katastrophe?

Die Erforschung der Tiefsee in internationalen Gewässern, in denen die "Titan" unterwegs war, ist weitgehend unreguliert, wie der Meereskunde-Experte Simon Boxall von der University of Southampton der BBC sagte. Spekuliert wird nun, dass sich dies infolge der "Titan"-Tragödie ändern könnte.

Über dieses Thema berichtete am 23.06.2023 auch die "Aktuelle Stunde" im WDR Fernsehen.

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