Hunderttausende Menschen sind in den vergangenen Wochen in NRW und ganz Deutschland auf die Straße gegangen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Erst gestern waren es in Bielefeld 25.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, in Haltern mehr als 2.000 Schülerinnen und Schüler.
Warum gehen so viele Menschen auf die Straße?
So viele regelmäßige Demonstrationen und so viele teilnehmende Menschen hat es in Deutschland schon lange nicht mehr gegeben. Das Kölner Rheingold Institut hat eine repräsentative Online-Studie durchgeführt und dabei die Menschen gefragt, warum sie auf die Straße gehen.
Das Ergebnis: Viele Menschen sehnen sich nach einer Befreiung aus der Lethargie - verursacht durch die nationalen oder internationalen Krisen der vergangenen Monate und Jahre, also: Corona, Ukraine-Krieg oder die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Deutschland.
Demonstierende wünschen sich Zusammenhalt
61 Prozent der Befragten haben durch die Demonstrationen das Gefühl, dass sich in Deutschland etwas bewegt - und sie dadurch etwas bewegen können. Die Demonstrationen zeigen ihnen außerdem, dass sie nicht alleine sind mit ihrer Weltanschauung. Demonstrieren schaffe ein lange vermisstes "Wir-Gefühl", so ein Ergebnis der Studie.
Alexander Schuhmann aus Essen demonstriert gegen die AfD
So sieht es auch Alexander Schuhmann, der in Essen demonstriert hat: "Es ist gut zu wissen, dass endlich mehr Menschen auf die Straße gehen, um auch nach außen zu zeigen, was sie innerlich denken: Sie sind gegen Rechtsextremismus."
Gefahr einer weiteren Spaltung der Gesellschaft?
Welche gesellschaftlichen Auswirkungen die Demonstrationen auf die Gesellschaft in Deutschland haben, ist noch nicht abzusehen. Fast zwei Drittel der Befragten erwarten der Studie zufolge, dass die Demonstrationen einen gesellschaftlichen Dialog fördern werden. Etwas weniger als die Hälfte befürchtet allerdings, die Spaltung der Gesellschaft werde dadurch vorangetrieben - und das Gegeneinander verstärkt.
Im Ergebnis der Studie sieht das Rheingold Institut ein klares Signal an die Politik, vor allem an die Ampelkoalition in Berlin. Die Demonstrierenden wünschten sich, dass die Politik ihre Anliegen ernst nehme und entsprechend handele. So sind 70 Prozent der Befragten überzeugt, der ständige Streit in der Ampel-Regierung stärke die AfD.
Protest gegen Rechtsextremismus muss weitergehen
Eine Art Weckruf war für die meisten Demonstranten das Geheimtreffen von Rechtsextremen in Potsdam und die Berichte über die Vertreibungspläne dieser Gruppe. Vielen habe das klar gemacht, wie gefährdet die Demokratie in Deutschland ist, so das Rheingold Institut.
Indra Hill demonstriert in Gelsenkirchen gegen Rechtsextremismus
Zahlreiche Leute seien zum ersten Mal überhaupt demonstrieren gegangen. Auch Indra Hill aus Gelsenkirchen war vorher noch nie auf einer Demonstration. In ihrer Heimatstadt hat sie gegen die Veranstaltung der AfD demonstriert und war begeistert, wie viele Menschen da waren.
Für viele der Befragten steht fest, dass diese Demo-Bewegung weitergehen muss. Eine Art "Bürgerwelle" müsse entstehen, die sich dauerhaft für die Demokratie in Deutschland einsetzt - und Dinge kritisiert, die in der Politik falsch laufen.
Für "Erst-Demonstrantin" Indira Hill steht fest, dass sie sich weiter engagieren wird: "Ich werde diesen Schwung mitnehmen, um weiter aktiv zu sein. In meinem Stadtteil für Toleranz zu werben und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Man muss im Kleinen anfangen, jeder für sich selbst."
Unsere Quellen:
- Tiefenpsychologische und repräsentative Studie "Zwischen Weckruf und Bumerang - psychologische Wirkungen der Demonstrationen gegen Rechtsextremismus" des Rheingold Instituts.
- WDR-Reporter in Essen und Gelsenkirchen
Über dieses Thema berichtet der WDR am 31.01.2024 im Hörfunk und Fernsehen.