Nahaufnahme eines Sargs aus Holz

Scheintote in Ecuador nun tatsächlich gestorben - Fälle auch in NRW

Stand: 18.06.2023, 15:01 Uhr

Jedes Jahr komme es in Deutschland zu mehreren Fällen von Scheintoten, sagt Rechtsmediziner Wolfgang Huckenbeck. In Ecuador wurde eine Scheintote nun beinahe lebendig begraben.

Von Jörn Seidel

Lebendig im Sarg begraben zu werden - eine Horrorvorstellung. Für eine Frau in Ecuador ist sie nun beinahe Wirklichkeit geworden. Bei ihrer Totenwache klopfte die 76-jährige Bella Montoya von innen an ihren Sarg und konnte dadurch zunächst gerettet werden. Nach knapp einer Woche auf der Intensivstation ist sie nun am Freitag gestorben. So unfassbar dieses Ereignis klingt - Scheintote gibt es auch in Deutschland und NRW. Und zwar wohl jedes Jahr. Wie das passieren kann.

"Es gibt mit Sicherheit in Deutschland mehrere Scheintote pro Jahr." Wolfgang Huckenbeck, Rechtsmediziner
Portrait von Wolfgang Huckenbeck

Wolfgang Huckenbeck, früher Rechtsmediziner an der Uni Düsseldorf

Genaue Zahlen gebe es natürlich nicht, sagt Professor Wolfgang Huckenbeck aus Rommerskirchen dem WDR. Er war früher stellvertretender Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Uni Düsseldorf. Der Grund für die falsche Feststellung des Todes ist aus seiner Sicht immer derselbe: Der Arzt oder die Ärztin habe keine "vernünftige Leichenschau" gemacht.

So war es offenbar auch im Fall von Bella Montoya in Ecuador. Nach Angaben des nationalen Gesundheitsministeriums war die pensionierte Krankenschwester am Freitag, 9. Juni, mit Verdacht auf Schlaganfall und Herz- und Lungenversagen in eine Klinik gebracht worden. Als Montoya auf Wiederbelebungsversuche nicht reagierte, habe der diensthabende Arzt sie für tot erklärt.

Seltsame Geräusche aus dem Sarg

Rund fünf Stunden nach Beginn der Totenwache am Sonntag danach hätten die Teilnehmer seltsame Geräusche aus dem Sarg gehört, berichtet Montoyas Sohn Gilberto Barbera. Beim Öffnen des Sarges hätten sie dann entdeckt, dass seine Mutter noch schwer atmete.

"Das hat uns allen den Schrecken eingejagt." Gilberto Barbera, Sohn der Scheintoten

Die Anwesenden brachten Montoya sofort ins Krankenhaus. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums lag sie dort auf der Intensivstation und wurde künstlich beatmet. Am Freitag sei sie nun tatsächlich gestorben, teilte die Behörde mit.

Huckenbeck: Oft sterben Scheintote in der Kühlkammer

Dass Scheintote wie jetzt in Ecuador gerettet werden, sei äußerst selten, sagt Professor Huckenbeck. Stattdessen würden die meisten in der Kühlkammer erfrieren - oder sie würden schon zuvor sterben, weil ihr Körper bereits zu schwach ist. Bei Bewusstsein sind die Betroffenen dann meistens nicht mehr.

Der Scheintod werde in der Regel erst dann erkannt, wenn der tatsächliche Tod bereits eingetreten ist. So habe er es selbst bei einer Bewohnerin eines Altenheims in Mettmann erlebt, erzählt Huckenbeck. Der zuständige Arzt habe "offenbar schlampig gearbeitet" und die vermeintliche Leiche womöglich gar nicht erst gesehen, bevor er den Totenschein ausstellte.

Bei der Obduktion fand Huckenbeck dann heraus: Die Frau starb erst in der Kühlkammer. Überlebt hätte sie womöglich trotzdem nicht.

Scheintod oft bei Vergiftung und Kälte

Wie kann es überhaupt zu so einer krassen Fehleinschätzung kommen? Beim Scheintod, der vita reducta, seien die Lebenszeichen kaum noch wahrzunehmen, erklärt Huckenbeck. Puls und Blutdruck seien äußerst schwach. Das passiere vor allem bei Vergiftungen und Kälte, zum Beispiel dann, wenn man in der kalten Nacht zu viel Alkohol trinkt und dann draußen einschläft. Trotzdem:

"Wenn man eine vernünftige Leichenschau macht, fällt es schon auf, ob jemand noch lebt." Wolfgang Huckenbeck

Um den Tod sicher festzustellen, könne man zum Beispiel ein EKG machen, sagt Huckenbeck. Den Tod in Zweifel ziehen müsse man spätestens dann, wenn nach ein paar Stunden weder Totenflecken zu sehen sind noch die Leichenstarre eintritt. "Das sind die sicheren Todeszeichen."

Das ecuadorianische Gesundheitsministerium kündigte in der vergangenen Tagen an, den Vorfall des Scheintods genau untersuchen zu lassen.

Über dieses Thema berichteten wir am 13.06.2023 auch im Morgen-Podcast "0630":