Im August 2022 hockte der 16-jährige Mouhamed Dramé in einer Nische auf dem Gelände einer Dortmunder Jugendeinrichtung. Er hielt sich ein Messer in der Hand. Als die Polizei dazukam, eskalierte die Situation. Am Ende starb Dramé durch Schüsse aus einer Maschinenpistole.
Erstmals äußern sich Angeklagte
Seit Dezember 2023 sitzen wegen des Einsatzes fünf Polizistinnen und Polizisten auf der Anklagebank des Dortmunder Landgerichts. Am elften Verhandlungstag äußerten sich erstmals zwei der Angeklagten zum Geschehen. "Wir waren der Ansicht, als wir noch vor Ort waren, dass der Einsatz gut gelaufen ist", erklärt der angeklagte Dienstgruppenleiter. Er ist wegen der Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung angeklagt.
Der Lokalzeit-Podcast "Mouhamed Dramé – Wenn die Polizei tötet"
Später habe er dann erfahren, dass Dramé aufgrund der Schussverletzungen starb. "Ich war erschrocken. Entsetzt. Ich hab damit nicht gerechnet" bei dem Trefferbild und sofortiger medizinischer Versorgung, so der Dienstgruppenleiter. Fünf Schüsse trafen Dramé, unter anderem im Gesicht und im Bauchbereich.
Keine Bedenken an der Einsatztaktik
Als Dienstgruppenleiter habe er vor Ort eingeteilt, welcher Polizisten sich mit Taser, Pfefferspray und Maschinenpistole ausrüsten. Rund 20 solcher Einsätze habe er pro Jahr, sagt der Dienstgruppenleiter, der seit 1985 Polizist ist, vor Gericht aus. Davon werde in drei bis vier Fällen das Pfefferspray eingesetzt, dies sei immer ein Erfolg gewesen. Bedenken an der geplanten Einsatztaktik habe es bei ihm und den anderen Polizisten nicht gegeben.
Dramé habe gehockt an einer Kirchenwand gelehnt, und ein Messer gegen seinen Bauch gehalten, berichtet er. Der Plan sei gewesen, Dramé durch Kontaktaufnahme zum Aufgeben zu bewegen. Sollte das nicht gelingen, wolle man Pfefferspray einsetzen, in der Hoffnung, dass der 16-Jährige das Messer weglege und sich die Augen reibe.
Dienstgruppenleiter ordnete mehrfach Pfefferspray-Einsatz an
Nach Aussage des Dienstgruppenleiters und weiterer Polizisten sei die Kontaktaufnahme erfolglos geblieben. Daraufhin habe er eine der Angeklagten mehrfach angewiesen, Pfefferspray gegen Mouhamed Dramé einzusetzen.
Dramé sei danach mit dem Messer in der Hand aufgesprungen und "zügig" in Richtung der Polizisten gelaufen. Die Arme seien allerdings unten gewesen. Zweimal sei dann ein Taser abgeschossen worden, dann fielen die Schüsse.
Keine Androhung des Pfeffersprays
Für Dramé hätte es nach dem Pfeffersprayeinsatz doch nur die eine Fluchtrichtung, nämlich Richtung Polizei gegeben, fragt der Vorsitzende Richter Kelm. "Seh ich nicht so. Er hätte ja nicht auf uns zulaufen müssen", so der Dienstgruppenleiter. Dramé hätte nach seiner Ansicht auch drei bis vier Meter weiter in die Nische zwischen Kirchenwand und Zaun oder in Richtung des mannshohen Zauns laufen können.
Auf Nachfrage des Richters gab der Angeklagte an, er habe Dramé erst aufgefordert das Messer wegzulegen, als bereits Pfefferspray eingesetzt worden war. Gewarnt wurde Dramé davor auch nicht.
Nebenklage: Man hätte Lage statisch halten können
Rechtsanwältin Lisa Grüter, die die Angehörigen von Mouhamed Dramé als Nebenkläger vertritt, wollte vom Dienstgruppenleiter wissen, warum man denn die Lage nicht statisch gehalten, sondern das Pfefferspray eingesetzt hätte. In einer statischen Lage hätte man möglicherweise Spezialisten hinzuziehen können.
"Was soll ich statisch halten? Soll ich darauf warten, dass Herr Dramé sich das Messer in den Bauch rammt und dann stehen da 12 Polizisten rum?", antwortet der Dienstgruppenleiter trotzig. Wie lange Dramé vor dem Eintreffen der Polizei in der Nische hockte, ist bisher nicht ganz klar.
Pfefferspray habe Lage eskalieren lassen
Für Anwältin Grüter ist der Einsatz in der Form nicht nachvollziehbar. "Mouhamed war total passiv. Er hat sich das Messer gegen den Bauch gehalten, aber sich nicht in irgendeiner Form aktiv selbst verletzt." Die Anordnung und der Einsatz des Pfeffersprays hätten die Lage eskalieren lassen.
Auch wenn das Ziel gewesen wäre, dass Dramé das Messer weglegen sollte, sei es ein rechtswidriger Angriff mit Pfefferspray gewesen, weil es auch andere Möglichkeiten gegeben hätte, so Grüter. Dadurch würde sich möglicherweise ein Notwehrrecht Dramés ergeben, das müsse aber am Ende das Gericht entscheiden. Bis zum Urteil gilt für alle Angeklagten die Unschuldsvermutung.
Rechstanwältin fehlte Bedauern bei den Angeklagten
Neben dem Dienstgruppenleiter sagte am elften Verhandlungstag auch einer der Taserschützen aus. Er ist wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Große Unterschiede zu den Schilderungen seines Vorgesetzten gab es aber nicht. Beide gaben allerdings an, dass Pfefferspray nicht bei jeder Person wirken würde.
Für Lisa Grüter fehlte in beiden Aussagen aber etwas: "Ich habe nicht gehört, dass jemand hier bereut, dass ein Mensch am Ende zu Tode gekommen ist." Laut Grüter hätte die Möglichkeit bestanden juristisch zu differenzieren: "Dass man seinen Einsatz zwar für rechtmäßig hält, aber gleichzeitig das tragische Endergebnis menschlich ausgesprochen bedauert."
Schütze soll im Mai aussagen
Bei einem weiteren Verhandlungstermin im Mai soll sich nach Aussage seines Anwalts auch der Schütze zum Geschehen äußern. Er ist wegen Totschlags angeklagt.
Unsere Quellen:
- Reporter vor Ort
- Aussagen der Angeklagten
- Rechtsanwältin Lisa Grüter