Beide Zeugen im Prozess waren im August 2022 Mitarbeiter der Dortmunder Jugendeinrichtung, in der Mouhamed Dramé untergebracht war. In ihren Aussagen schilderten sie, wie sie den tödlichen Polizeieinsatz miterlebten, bei dem der 16-jährige Dramé durch Schüsse aus einer Maschinenpistole starb.
Der Lokalzeit-Podcast "Mouhamed Dramé – Wenn die Polizei tötet"
Zeugen fällt es schwer über Einsatz zu sprechen
Ein 30-jähriger Sozialarbeiter war zum Zeitpunkt der tödlichen Schüsse in unmittelbare Nähe zu den eingesetzten Polizisten. Während seiner Zeugenaussage am Landgericht Dortmund stockt er immer wieder. Man merkt ihm an, dass es ihm nicht leicht fällt, über dieses Thema zu sprechen.
Am 8. August 2022 habe er im Garten der Einrichtung gesessen und sei von einem Jugendlichen in den hinteren Teil des Innenhofes gerufen worden. Dort habe sich Mouhamed Dramé in einer rund zweieinhalb Meter breiten Nische zwischen einer Kirchenwand und einem hohen Zaun aufgehalten.
Der 30-Jährige habe versucht Dramé anzusprechen und gesehen, dass der ein Küchenmesser in Richtung seines eigenen Bauches hielt. Mehrere Minuten habe er versucht, gemeinsam mit anderen Kollegen zu dem Jugendlichen mit "Brocken Schulfranzösisch" und Übersetzungsapps Kontakt aufzunehmen - ohne Erfolg. Sein Teamleiter sei daraufhin ins Büro gegangen und habe die Polizei verständigt.
Einsatzbesprechung: Schütze als "Last Man Standing"
Die sei kurze Zeit später eingetroffen - an einer Kreuzung in der Nähe der Jugendeinrichtung. Er sei dann von den Polizisten herangerufen worden und sollte schildern, wie die Situation im Innenhof aussehe, berichtet der 30-Jährige. Mouhamed sei in einer Krisensituation und nicht ansprechbar, habe er den Beamten erzählt.
Dann habe er gehört, wie die Polizisten ihr weiteres Vorgehen besprechen: Man wolle erst versuchen Dramé anzusprechen. Falls das nicht erfolgreich sei, ihn mit Pfefferspray "aus der Reserve locken", so der Zeuge. Zuletzt, erzählt der Sozialarbeiter, habe sich der Einsatzleiter an einen Polizisten gewandt. Dieser habe später die tödlichen Schüsse auf Dramé abgegeben. "Du bist unsere Last Chance, unser Last Man Standing", soll der Einsatzleiter zu dem späteren Schützen gesagt haben.
Dramé sei "langsam und desorientiert" auf Polizisten zugegangen
Die Beamten seien nach der Besprechung in den Innenhof der Jugendeinrichtung gegangen. Der 30-Jährige hinterher. Die Polizisten hätten wie geplant versucht Dramé anzusprechen, erzählt er. Ebenfalls ohne Erfolg. Er habe dann den Befehl für das Pfefferspray gehört - auch wie es eingesetzt wurde.
"Langsamen Schrittes und desorientiert" sei der Jugendliche dann auf die Beamten zugegangen, berichtet der Zeuge. Nach WDR-Recherchen gibt es aber auch Aussagen, dass Mouhamed Dramé gerannt sei.
Der Zeuge berichtet weiter, dass die Polizisten "Messer weg" gerufen hätten und dann sei ein Taser eingesetzt worden. Der Sozialarbeiter habe sich daraufhin abgewendet. In dem Moment seien auch schon die Schüsse gefallen. "Das ging alles relativ schnell hintereinander."
Mouhamed Dramé habe vor Schmerzen "gejohlt". Der Einsatzleiter sei daraufhin auf den am Boden liegenden Dramé zugegangen. "Wird alles gut", soll er laut dem Sozialarbeiter gesagt und dann dem Jugendlichen leicht in den Bauch getreten haben. Das sei aber kein starker Tritt gewesen, erklärt der Zeuge auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Kelm.
Befragung des Zeugen muss abgebrochen werden
Im Verlauf seiner Befragung wird der Zeuge immer unsicherer, braucht länger für die Antworten auf die Nachfragen des Richters und der Verteidiger der Polizisten. Als Oberstaatsanwalt Carsten Dombert nach dem Grund dafür fragt, antwortet der Zeuge: "Das war eines der schlimmsten Erlebnisse meines Lebens."
Ihm falle es schwer, sich wieder in diese Situation hineinzuversetzen. Deshalb unterbricht Richter Kelm die Befragung des Zeugen für diesen Verhandlungstag. Er wird seine Aussage im Februar fortsetzen.
Vorher schilderte noch Alexander Gast, Leiter der Einrichtung, als erster Zeuge, wie er die Situation erlebt hatte. Die Mitarbeiter hatten ihn aus dem Büro in den Innenhof der Einrichtung gerufen. Es war der erste Arbeitstag nach seinem Urlaub.
Leiter der Jugendeinrichtung berichtet von Notruf
Dramé sei in der Nische zwischen Kirche und Zaun gewesen und habe sich ein Küchenmesser in Richtung seines Bauches gehalten - "ganz klar in der Absicht der Selbstverletzung", schildert der Teamleiter.
Gast erzählt, er sei in sein Büro gegangen und habe den Notruf der Polizei gewählt, weil er und seine Mitarbeiter die Situation nicht haben "auflösen" können. Ob er dort richtig sei oder ob er einen Rettungswagen rufen soll, habe er gefragt. Er sei hier richtig, habe der Polizist am anderen Ende der Leitung entgegnet. Bis zu den tödlichen Schüssen dauert das Gespräch zwischen den Beiden. Es wurde aufgezeichnet und vom Vorsitzenden Richter Kelm während des Prozesstages verlesen.
Dramé suchte vor den Schüssen psychiatrische Einrichtung auf
Immer wieder gab Gast Informationen während des Telefonats an die Leitstelle durch, während die Einsatzkräfte bereits unterwegs waren. Er berichtete, dass Dramé Französisch und Spanisch sprechen würde und wo er sich genau befinde, erzählte der Teamleiter. Dazu stand er auch mit seinen Mitarbeitern im Innenhof durch ein offenes Fenster in Kontakt.
Später habe er er durch dieses Fenster gesehen, wie sich die gerufenen Polizisten im Innenhof aufstellten. Dramé konnte er nicht sehen. Dann sei alles ganz schnell gegangen, berichtet Gast. Taser seien eingesetzt worden. "Du meine Güte", habe er laut Protokoll im Gespräch mit der Leitstelle gesagt. Dann fielen die Schüsse.
Fall sei "traumatische Erfahrung" für gesamte Jugendeinrichtung
Beide Zeugen beschäftigt das Erlebte bis heute - auch wegen ihrer Aussagen. "Da sind viele Erinnerungen wieder hochgekommen", erzählt Alexander Gast. Der Fall sei für das gesamte Team und auch die Jugendlichen der Einrichtung eine "traumatische Erfahrung" gewesen. Gast selbst habe ein "Gefühl der Erleichterung" durch seine Aussage und hofft, dass der Fall irgendwann auch für ihn "abgeschlossen werden kann."
Die angeklagten Polizistinnen und Polizisten haben sich zu den Vorwürfen bisher nicht geäußert. Der Prozess gegen sie vor dem Dortmunder Landgericht soll am 31. Januar fortgesetzt werden. Bis zu einem Urteil gilt die Unschuldsvermutung.
Unsere Quellen:
- WDR-Reporter vor Ort