Bisher schilderten alle im Prozess gehörten Zeugen einen ähnlichen Ablauf des Einsatzes: Mouhamed Dramé hätte in vermutlich suizidaler Absicht in einer Nische zwischen einer Kirchenwand und einem Zaun im Hinterhof einer Jugendeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt an die Wand gelehnt gehockt. Er soll sich ein Küchenmesser an den Bauch gehalten haben.
Betreuer der Jugendeinrichtung und Polizisten in Zivil sollen den 16-Jährigen angesprochen haben. Ohne Erfolg. Danach unterscheiden sich die Zeugenaussagen. Am heutigen siebten Prozesstag sagte ein Polizist als Zeuge aus, der zusammen mit dem Einsatzleiter eine Streifenwagenbesatzung bildete.
Laut dem Zeugen wäre Mouhamed Dramé das Messer mehrfach fast aus der Hand gefallen. Dann hätte eine Polizistin auf Anordnung des Einsatzleiters Pfefferspray gegen Dramé eingesetzt.
Der Lokalzeit-Podcast "Mouhamed Dramé – Wenn die Polizei tötet"
Pfeffersprays soll Dramé nicht richtig getroffen haben
"Der Strahl des Pfeffersprays kam da gar nicht an", so der Zeuge. Das Pfefferspray sei eher wie Nieselregen auf den 16-jährigen getroffen. Dramé sei daraufhin aufgesprungen und habe sich schnell in Richtung der Einsatzkräfte bewegt: "Der ist auf uns zugerannt und hatte das Messer in der Hand." Nach "zwei schnellen Schritten" fielen die Schüsse aus zwei Tasern und einer Maschinenpistole.
Zu der Schnelligkeit, mit der Dramé sich auf die Beamten zubewegt haben soll, gab es bislang widersprüchliche Aussagen. Ein Betreuer der Jugendeinrichtung hatte geschildert, der 16-jährige sei lediglich langsam in Richtung Polizei gegangen.
Erste Aussage zur Haltung des Messers
Der Polizist konnte als erster Zeuge schildern, wie genau Dramé das Küchenmesser gehalten haben soll, als er sich auf Einsatzkräfte zubewegte. Der Jugendliche hätte das Messer am Griff gepackt, mit der Klinge zum Boden zeigend, in Hüfthöhe gehalten. Bei seiner polizeilichen Vernehmung kurz nach dem Einsatz hatte der Zeuge noch angegeben, zur Haltung des Messers nichts sagen zu können. Insgesamt habe der Polizist die Situation aufgrund des Messers für gefährlich gehalten. Ähnliches hatten auch andere Polizisten schon ausgesagt.
Für die Vertreterin der Nebenklage, Rechtsanwältin Lisa Grüter, war die Zeugenaussage eine Überraschung: "Heute hatten wir mit einem Beamten zu tun gehabt, der in diesem entscheidenden Punkt eine viel lebhaftere Erinnerung haben will", als bei seiner polizeilichen Vernehmung.
Anzeigen gegen Dramé wegen Bedrohung
Die zweite Zeugin, ebenfalls eine Polizistin, ist Leiterin einer Einsatzgruppe, die zivil in der Nordstadt agiert und ebenfalls am Einsatz beteiligt war. Zwei Polizisten dieser Gruppe hatten bereits am letzten Prozesstag ausgesagt. Die Zeugin selbst konnte zum genauen Ablauf des Geschehens wenig beitragen, weil sie diesem den Rücken zugedreht und in Richtung der Fenster der Jugendeinrichtung geschaut habe. Sie hätte sich erst umgedreht, als sie "Knallgeräusche" gehört hatte.
Angaben konnte sie aber zur Strafanzeige gegen Mouhamed Dramé nach den Schüssen machen. Die hätte sie nach Absprache mit dem angeklagten Einsatzleiter und der Recklinghäuser Mordkommission gefertigt. Der Vorwurf: Bedrohung. Beim Anlegen des Vorgangs hätte sie vom Tod Mouhamed Dramés noch nichts erfahren.
Zeugenaussagen: Einsatz von Pfefferspray, Taser und MP nicht angekündigt
In einem gleichen sich alle bisherigen Zeugenaussagen: Mouhamed Dramé soll weder der Einsatz des Pfeffersprays, noch der des Tasers und der Maschinenpistole angedroht worden sein. Damit bestätigen diese Aussagen WDR-Recherchen aus dem November 2022.
Am nächsten Verhandlungstag sollen zwei Kommissar-Anwärter gehört werden, die die Polizisten bei dem Einsatz begleiteten.
Unsere Quellen:
- Reporter im Gerichtssaal
- Zeugenaussagen