RS-Virus: Kinderkliniken am Limit - kaum noch Plätze in NRW

Stand: 09.12.2022, 16:01 Uhr

Wegen der aktuellen RS-Virus-Welle gibt es in den Kinderkliniken laut dem Verband der Notfall-Mediziner einen dramatischen Bettenmangel. Auch in NRW gibt es kaum noch freie Betten.

Von Jörn Seidel und Andreas Poulakos

Die deutschen Kinderkliniken schlagen Alarm: Die außergewöhnlich starke Ausbreitung von RS-Virus-Erkrankungen bei Kleinkindern und die gleichzeitige Grippewelle bei älteren Kindern bringt die Einrichtungen in NRW und im ganzen Bundesgebiet an ihre Grenzen.

Noch sei die reguläre Versorgung der kleinen Patienten nicht gefährdet, sagte Peter Seiffert, Chefarzt der Kinderklinik im Helios Klinikum Duisburg, dem WDR am Donnerstag: "Aber wir sind nah dran." Besonders die Intensivstationen hätten derzeit Mühe, alle schwer erkrankten Kinder unterzubringen.

Dass die Situation kritisch ist, wird auch durch eine aktuelle Umfrage bestätigt. "Von 110 Kinderkliniken hatten zuletzt 43 Einrichtungen kein einziges Bett mehr auf der Normalstation frei. Lediglich 83 freie Betten gibt es generell noch auf pädiatrischen Kinderintensivstationen in ganz Deutschland - das sind 0,75 freie Betten pro Klinik, also weniger als eines pro Standort", teilte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) am Donnerstag in München mit.

Notfall-Mediziner fordern Verbesserungen für Kinderkliniken

Für die aktuelle Ad-hoc-Umfrage habe der Verband 130 Kinderkliniken angeschrieben. 110 Häuser hätten ihre Daten vom Stichprobentag 24. November, also vor einer Woche, bereitgestellt.

"Das ist eine katastrophale Situation, anders ist es nicht zu bezeichnen." Florian Hoffmann, DIVI-Generalsekretär

Die Lage in den Kinderkliniken sei "wirklich dramatisch". Man könne von einer Lage sprechen, die "nicht mehr wirklich beherrschbar ist". Wegen Personalmangels stünden viele Betten nicht zur Verfügung. Deshalb fordere man die "sofortige Optimierung von Arbeitsbedingungen in den Kinderkliniken, den Aufbau telemedizinischer Netzwerke zwischen den pädiatrischen Einrichtungen und den Aufbau von spezialisierten Kinderintensivtransport-Systemen. Wir müssen jetzt endlich handeln".

Situation auch in NRW kritisch

Kinderkliniken: "Lage ist katastrophal" (NRW)

Auch in Nordrhein-Westfalen arbeiten reine Kinderkliniken und die pädiatrischen Stationen der Krankenhäuser am Limit. In Düsseldorf, Aachen und Köln melden die Einrichtungen, dass derzeit improvisiert werden muss, um die Versorgung aufrecht zu halten. Auch im Helios-Klinikum Krefeld heißt es zurzeit: alle Betten belegt. In Mönchengladbach waren bereits letzte Woche alle Betten der Kinderstation voll. Wartezeiten von sechs bis sieben Stunden in der Notaufnahme seien keine Seltenheit.

Betroffen sind aber nicht nur die Kliniken im Rheinland. Auch in Ostwestfalen-Lippe gibt es vielerorts Engpässe: Sowohl Kinderkliniken in Soest, Minden und Bielefeld sind nach WDR-Informationen derzeit voll ausgelastet. In Paderborn sei man bereits "überbelegt", hieß es. Dennoch würden alle Kinder versorgt. In Siegen gab es am Donnerstag nur noch zwei freie Plätze, in Lüdenscheid nur noch ein einziges freies Bett, in Arnsberg auf der Intensivstation vier. Im Klinikum Lippe-Detmold waren alle Plätze in der Kinderstation belegt, allerdings werden dafür in der Erwachsenenabteilung Betten bereitgestellt. Voll ausgelastet sind auch die Kliniken in Münster, Coesfeld und Rheine.

Im Ruhrgebiet melden Einrichtungen in Hagen und Hamm "volles Haus". Wolfgang Kamin, Klinikdirektor des Evangelischen Krankenhauses in Hamm, beschreibt die Situation so: "Die Lage ist eng, aber zurzeit beherrschbar. Wir haben für Notfälle hier noch Kapazitäten. Wir haben bisher auch noch niemanden abgewiesen." Mitarbeiter der Kinderklinik Datteln erklärten hingegen, das Haus sei "knallvoll". Schon die Eingangshalle platze derzeit aus allen Nähten.

RS-Virus-Welle baut sich weiter auf

"Die RSV-Welle baut sich immer weiter auf und macht bei vielen Kindern die Behandlung mit Atemunterstützung notwendig. Wir können Stand heute davon ausgehen, dass es zu dieser Behandlung nicht genügend Kinder-Intensivbetten gibt", so Sebastian Brenner, DIVI-Kongresspräsident.

Bei der Erhebung habe jede zweite Klinik berichtet, dass sie in den vergangenen 24 Stunden mindestens ein Kind nach Anfrage durch Rettungsdienst oder Notaufnahme nicht für die Kinderintensivmedizin annehmen konnten – also weiter nach einem passenden Behandlungsplatz gesucht werden musste. "Diese Situation verschärft sich von Jahr zu Jahr und wird auf dem Rücken kritisch kranker Kinder ausgetragen", so Hoffmann.

Lauterbach will rasche Hilfe

Angesichts der dramatischen Engpässe setzt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf rasche Entlastungen. "Die Kinder brauchen jetzt unsere volle Aufmerksamkeit", sagte der SPD-Politiker in Berlin. So soll Pflegepersonal aus Erwachsenen- in Kinderstationen verlegt werden. Krankenkassen sollen Vorgaben zur Personalbesetzung vorerst nicht prüfen und Sanktionen aussetzen.

Zudem appellierte Lauterbach an Eltern und Kinderärzte, nicht unmittelbar nötige Vorsorgeuntersuchungen um wenige Wochen zu verschieben. Grundsätzlich versicherte der Minister aber, die Lage sei "im Griff".

Keine Lebensgefahr für Kleinkinder

Zu Lebensgefahr für die Kleinsten führe die angespannte Lage nicht, betonte der Minister auch gut eine Woche später im Düsseldorfer Landtag noch einmal. Die Kinderkliniken stünden aktuell zwar unter einer "erheblichen Anspannung", das Land bekomme aber "mit größter Anstrengung" die Versorgung der kleinen Patienten hin.

Eine Verbesserung der derzeitigen Lage erwartet Dominik Schneider, Leiter der Kinderklinik Dortmund, nicht, wenn nun Pflegepersonal aus dem Erwachsenenbereich bei den Kindern eingesetzt werden soll. "Das Pflegepersonal fehlt ja an allen Ecken und Enden", sagte er im WDR. Deshalb sei es "schwer", Personal freizulösen. Zudem müsse anerkannt werden, dass die Pflege "hochspezialisiert" sei. "Die Pflege eines kleinen Kindes ist was anderes als die eines schwerkranken Erwachsenen."

Zahl der verfügbaren Betten in NRW sinkt seit Jahren

Statistiken zeigen, dass bereits seit Jahren in NRW-Krankenhäusern die Zahl der Betten für Kinder stetig gesunken ist. Nach Berechnungen der Landesdatenbank NRW gab es im Jahr 2018 noch 4.797 Plätze. Im Jahr 2021 waren es nur noch 4.532. Gründe für diese Entwicklung gibt es viele: Personalmangel und Sparzwang zum Beispiel.

Eltern sollen Ruhe bewahren

Studiogespräch: Peter Seiffert, Chefarzt Kinderklinik Helios-Krankenhaus Duisburg

Peter Seiffert

Viele Eltern machen sich derzeit Sorgen, ob ihre Kinder in der aktuellen Situation überhaupt noch versorgt werden können. Diese Ängste seien zwar verständlich, sagt der Duisburger Chefarzt Seiffert - aber es gebe es keinen Grund für Panik. Alle Kliniken hätten Notfall-Pläne, die im Fall einer absoluten Überlastung umgesetzt werden können.

Dann werden zum Beispiel weitere Erwachsenen-Stationen für die Versorgung der Kinder freigemacht. Schon jetzt würden alle nicht unbedingt notwendigen Behandlungen und Operationen verschoben, um Kapazitäten für die kleinen Patienten freizuräumen.

Lange Wartezeiten ließen sich im Augenblick aber kaum verhindern, sagt Seiffert. Auch müssten Eltern akzeptieren, dass Kinder unter Umständen nur in weit vom Wohnort entfernten Kliniken einen Behandlungsplatz bekommen.

Betten teilweise wegen Personalmangel gesperrt

Die DIVI-Zahlen im Detail: Die 110 rückmeldenden Häuser weisen insgesamt 607 aufstellbare Betten aus, von denen aber lediglich 367 Betten betrieben werden können. Grund für die Sperrung von 39,5 Prozent der Intensivbetten für Kinder ist hauptsächlich der Personalmangel.

An 79 Häusern, also bei 71,8 Prozent der Befragten, ist Pflegepersonalmangel konkreter Grund für die Bettensperrungen. Freie Betten gab es lediglich 83, das heißt durchschnittlich 0,75 Prozent freie Betten pro Klinik. 47 Kliniken melden null verfügbare Betten, 44 Kliniken ein freies Bett. 51 Kliniken berichten von abgelehnten Patientenanfragen. Heißt konkret: 46,4 Prozent der an der Umfrage teilnehmenden Kliniken berichten von insgesamt 116 abgelehnten Patientinnen und Patienten – an nur einem Tag.

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