Eine Studentin sitzt, den Kopf abgestützt, arbeitend vor ihren Lernunterlagen an einem Tisch

Kriege, Krisen, Stress: So bleibt meine Seele stabil

Stand: 23.10.2023, 10:18 Uhr

Wir leben in einer anstrengenden, sich schnell verändernden Welt voller Krisenherde. Wie schützen wir unsere Psyche angesichts all dieser Hausforderungen? Diese Ratschläge gibt Dr. Donya Gilan vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung.

Von Oliver Scheel

Die Zahl der psychischen Erkrankungen ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Es ist ja auch kein Wunder, dass viele Menschen an ihre Grenzen stoßen: Die Zeiten sind herausfordernd, schnelllebig und furchteinflößend.

Auf die Corona-Pandemie folgten die Kriege in der Ukraine und nun in Nahost, dazu die steigenden Preise, wirtschaftliche Nöte, Angst vor Jobverlust und Flüchtlingskrise - und über allem thront die ungelöste Klimafrage.

Donya Gilan - Mental Health Expertin

Psychologin Dr. Donya Gilan vom LIR

Wie bleibt meine Seele angesichts dieser Herausforderungen gesund? Darüber haben wir mit der Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Donya Gilan vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) in Mainz gesprochen. Diese Einrichtung forscht über die Aufrechterhaltung bzw. die Wiederherstellung psychischer Gesundheit und ist europaweit das erste Zentrum seiner Art.

Krisen waren lange Zeit weit weg

"Wir erleben derzeit viele Umbrüche, in der Gesellschaft, bei der digitalen Transformation der Arbeit. Im Zusammenhang mit den Krisen führt das zu einem Unsicherheitsgefühl", erklärt Gilan im Gespräch mit dem WDR. "Lange Zeit waren die Krisen weit weg und jetzt sind wir mit vielen davon konfrontiert – Balance zu schaffen, ist eine große Herausforderung."

Besonders die vulnerablen Gruppen seien gefährdet, so die Expertin. Dies seien in erster Linie Menschen, denen soziale Unterstützung oder ein soziales Netzwerk fehlt. "Sie haben weniger Zugänge zu Schutzfaktoren, ihnen fehlt die Teilhabe, auch die Möglichkeit, Sport zu treiben und sich in der Freizeit abzulenken", so Gilan. Besonders betroffen seien hier Alleinerziehende und Menschen aus niedrigen Einkommensgruppen.

Im Home Office vermischt sich der Job mit Privatem

Aber auch Gutverdiener werden krank. "Das Arbeiten im Home Office führt dazu, dass sich Privates mit Arbeitszeit vermischt. Das Digitale ist eine große Herausforderung, alle müssen schnell damit zurechtkommen", so Gilan. Das führe zu einer kognitiven Überforderung.

Deshalb seien Regenerationsphasen enorm wichtig. "Wenn wir arbeiten, sollten wir danach eine völlig andere Tätigkeit durchführen, wir brauchen schlichtweg Abwechslung. Wichtig ist, möglichst unterschiedliche Aktivitäten zu haben, die sich voneinander unterscheiden", sagt sie.

Drei Prinzipien schützen vor Überforderung

Gilan nennt drei Prinzipien, die Menschen vor dem Abdriften in eine Krankheit schützen können: "Auf sich selbst achten, sich in schwierigen Lagen Unterstützung holen und Sinnhaftigkeit im Arbeitskontext entwickeln." Größere Handlungsspielräume im Beruf seien dafür wichtig. "Dann entfremdet man weniger und ist motivierter."

Auch soziale Unterstützung spiele eine Rolle. "Wenn ich alleine schon weiß, dass ich auf jemanden zugehen kann, ist eine Stresssituation schon entschärft."

Privates und Beruf unbedingt trennen

Hauptgründe für das Auftreten eines Burn Outs sind Stress im Job und in der Familie sowie die Vermischung von Arbeit mit Privatem. Daher rät die Psychologin unbedingt dazu, strikt zu trennen. "Die Trennung ist sehr wichtig, weil wir die ganze Zeit digital unterwegs sind, Emails empfangen, kommunizieren, Aufträge bekommen. Ich plädiere da ganz entschieden für eine Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Wir unterliegen da tatsächlich vielen Suchtfaktoren, aber am späten Abend Job-Emails lesen ist einfach kontraproduktiv."

Führungskräfte sollten da übrigens mit gutem Beispiel voran gehen. "Wichtig ist, dass der gesundheitsförderliche Ansatz von der Geschäftsführung gelebt wird. Vorgesetzte sollten Regeneration ermöglichen, Sport und die Kultur im Team stärken. Positiv sein, eine Vertrauenskultur schaffen und ein kollektives Mindset aufzubauen ist total wichtig", erklärt Gilan, die bereits seit sechs Jahren am LIR arbeitet. Wenn ein Vorgesetzter sich krank ins Büro schleppt, gebe er ein schlechtes Beispiel.

Gilan: "Wir sind emotional überreizt und dann suchen wir uns Schuldige"

Blick von oben auf einen Mann, der am Schreibtisch sitzt und sich die Haare rauft

Es prasselt viel auf uns ein momentan.

Auch die derzeitige weltpolitische Lage lässt viele Menschen verzweifeln. Kriege, Krisen, Gewalt, wohin man schaut. Selten gibt es noch gute Nachrichten. "Es ist definitiv zu viel für uns. Es ist natürlich nachvollziehbar, dass wir Nachrichten konsumieren, aber unsere Informationsverarbeitung ist überreizt. Wir sind angesichts dieser Nachrichten emotional überreizt. Das führt dazu, dass wir einfache Sichtweisen entwickeln und uns Schuldige für die Misere suchen", erklärt die Psychologin.

Der richtige Umgang mit Medien

Es ist auch schwer, sich vor der Macht der Bilder zu schützen. Ungefragt erhalten wir Videos mit teilweise verstörenden Inhalten. Gilan rät dazu, das Handy bewusst wegzulegen. "Außerdem sollten unbedingt nur seriöse und bekannte Quellen genutzt werden. Bei Themen, die einen stark bewegen, bei denen man vielleicht noch keine eigene Meinung hat, hilft es sehr, das persönliche Gespräch mit anderen zu suchen, sich auszutauschen. Das ist wichtig zur Einordnung, sonst ist man mit seinen Gedanken und Emotionen alleine", erläutert sie.

Wegschauen ist keine Lösung

Der Austausch ist also wichtig. Und was ist mit Wegschauen? Ist es sinnvoll, die Nachrichten bewusst auszublenden, zu ignorieren? "Nein", findet Gilan. "Wegschauen führt dazu, dass ich die Realität verdränge. Das ist eine Vermeidungsstrategie. Vermeidung führt aber dazu, dass Ängste und Sorgen nur noch größer werden. Viele fallen dann in einfache Erklärungsmuster. Ich habe so starke Sorgen, dass ich Feindbilder aufbauen muss, auf die ich das dann projizieren kann", so Gilan, die empfiehlt, selbst tätig zu werden.

"Ich würde es eher empfehlen, sich Aktivitäten zu suchen. Man kann demonstrieren, sich für eine Sache einsetzen oder auch Aufklärungsarbeit für andere leisten. Menschen, die sich in einer Gruppe befinden und einer Bedrohungslage gegenüber stehen, haben innerhalb der Gruppe weniger Sorgen. Es besteht eine Art kollektiver Schutz."

Das Gespräch führte Oliver Scheel.

Interview: psychische Gesundheit während Krisen

WDR Studios NRW 10.10.2023 08:50 Min. Verfügbar bis 17.10.2025 WDR Online