AOK: Mehr Fehlzeiten wegen psychischer Belastung
Aktuelle Stunde. 18.10.2023. UT. Verfügbar bis 18.10.2025. WDR. Von Raphael Markert.
Psychische Erkrankungen im Job: Wie bleibe ich gesund?
Stand: 18.10.2023, 20:25 Uhr
Psychische Erkrankungen haben stark zugenommen und erzeugen Unmengen an Fehltagen. Was belastet die Menschen so stark, dass sie krank werden? Und wie können wir uns schützen?
Die Belastungen der vergangenen Jahre waren groß. Die Corona-Pandemie veränderte unser Leben von einem Tag auf den anderen. Die Arbeitswelt stand plötzlich Kopf, und nichts war mehr planbar. Als die Pandemie abebbte, überfiel Russland die Ukraine und das brachte neue Herausforderungen.
Angst vor einem Krieg in Europa, Angst vor Jobverlust, steigende Preise, die ungelösten Probleme im Zuge der Erderwärmung. Dies blieb offenbar nicht ohne Folgen - mehrere Krankenkassen verzeichnen einen massiven Anstieg psychischer Erkrankungen. So zeigt der aktuelle AOK-Fehlzeitenreport, dass die beruflichen Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen von 2012 bis 2022 um 48 Prozent zugenommen haben. NRW liegt mit einem Plus von 49 Prozent noch leicht über dem deutschen Schnitt.
Fast 30 Tage Ausfall bei einer psychischen Erkrankung
Besonders dramatisch - auch für die Unternehmen - ist die hohe Zahl an Fehltagen, die einhergeht mit psychischen Erkrankungen. "Während psychische Erkrankungen 2022 im Schnitt zu AU-Zeiten (Arbeitsunfähigkeits-Zeiten) von 29,6 Tagen je Fall führten, waren es beispielsweise bei Atemwegserkrankungen nur 7,1 Tage pro Fall", sagte Johanna Baumgardt, Mitherausgeberin des Fehlzeiten-Reports.
Besonders betroffen: Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen
Von den Ausfallzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen waren im vergangenen Jahr vor allem Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen betroffen, bei denen 14 Prozent aller beruflichen Fehltage auf psychische Erkrankungen entfielen. An zweiter Stelle standen die Branchen "Öffentliche Verwaltung/Sozialversicherung" und "Banken/Versicherungen" mit jeweils 13 Prozent.
Was belastet die Menschen so stark, dass sie krank werden?
Fast die Hälfte der Beschäftigen (47 Prozent) gab in einer Umfrage an, an ihrem Arbeitsplatz eher starke bis sehr starke Veränderungen wahrzunehmen. Als hauptsächlicher Treiber wurde die Covid-19-Pandemie genannt, gefolgt von den technologischen Entwicklungen. Auch das Home Office spielt hier eine Rolle. Neben den positiven Effekten wie mehr Flexibilität und Arbeitszufriedenheit gebe es auch negative Folgen wie eine Entgrenzung der Arbeit, erklärte der Bielefelder Gesundheits-Soziologe Bernhard Badura. Das könne auch zu sozialer Isolation und einer Distanzierung der Mitarbeitenden vom Unternehmen führen.
Permanent erreichbar sein: Das stresst viele Menschen
Und dann sind da noch die anderen gesellschaftlichen Veränderungen, die große Unsicherheiten, Druck und Aufgaben mit sich bringen. "Die Digitalisierung zum Beispiel führt dazu, dass ich schnell antworten muss. Ich habe nicht mehr wie früher mehrere Tage Zeit, auf einen Brief zu antworten, ich muss schnell reagieren", erläutert Sören Brodersen, Psychologe beim Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung in Köln im Gespräch mit dem WDR.
Brodersen sieht aber auch viele positive Entwicklungen, gerade bei den Unternehmen. "Es gibt oft einen engen Zusammenhalt. Viele Teams funktionieren gut, Führungskräfte verhalten sich anders als früher. Das Konzept ist weniger von oben herab, sondern mehr kooperativ. Private Probleme dürfen kommuniziert werden, das ist kein Tabuthema mehr. Viele Führungskräfte sind heute sensibler und immer öfter auch besser auf psychische Belastungen ihrer Mitarbeitenden vorbereitet", so Brodersen.
Das sehen auch die Autoren und Autorinnen des AOK-Fehlzeitenreports so. "Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels muss die Gesundheit der Beschäftigen ein zentrales Anliegen jedes Unternehmens sein", so Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Die AOK unterstütze Betriebe und Organisationen daher mit Angeboten zur gesundheitsgerechten Führung.
Diese Schulungen findet auch Brodersen wichtig: "Da wo der Mensch ist, findet er im Idealfall ein Hilfsangebot. Das ist eben häufig der Betrieb. Führungskräfte sollten sensibilisiert sein, mit welchen Problemen die Menschen in ihrem Team konfrontiert sind."
Aber wie kann man seine Seele schützen?
"Die Psychohygiene ist natürlich sehr individuell", so Brodersen. Er empfiehlt, sich auf Ereignisse vorzubereiten, sich ein soziales Netzwerk zu schaffen und immer auf die eigenen Ressourcen zu schauen. "Eine wichtige Frage ist aber: Wie erfahren andere, dass ich Hilfe brauche und was mir gerade helfen würde?"
Angesichts der Bilder der Gewalt, die die Menschen aus den Krisengebieten dieser Welt besonders in den sozialen Netzwerken teilweise ungefiltert erreichen, rät Brodersen zur Vorsicht: "Was ich empfehlen möchte, ist, nicht jeden Newsletter zu abonnieren. Liveblogs zu verfolgen ist mit das Schlimmste, was man tun kann." Es gebe da diese Angst etwas zu verpassen, aber das sei gefährlich: "Ich muss mich fragen, welche Nachrichtenangebote möchte ich konsumieren, um diese dann bewusst auszuwählen. Beim digitalen Konsum ein wenig runterzuschrauben ist sicher hilfreich."