Die Galsumlage soll kommen

Energiepreise: Wird es im Herbst Proteste geben?

Stand: 28.08.2022, 16:53 Uhr

Seit Monaten wird leidenschaftlich über die hohen Energiepreise debattiert. Könnte sich die Sorge vor steigenden Kosten im Herbst auf der Straße entladen? Es mehren sich Stimmen, die das befürchten. Doch der oberste Verfassungsschützer winkt ab.

Während Parteien wie die Linke oder die AfD schon zu Montagsdemonstrationen gegen Gasumlage und Inflation aufrufen, hält Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang Warnungen vor Unruhen im Herbst wegen der hohen Energiepreise für übertrieben. "Ich rechne nicht mit Protesten, die gewaltsamer sind als zu Hochzeiten der Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen", sagte Haldenwang der "Bild am Sonntag".

Thomas Haldenwang

Verfassungsschützer Thomas Haldenwang

Damit widersprach Haldenwang unter anderem Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sowie auch dem obersten Verfassungsschützer in Thüringen, Stephan Kramer. Beide hatten bereits vor eskalierenden Protesten gewarnt. Sicherheitsbehörden im Osten Deutschlands sorgen sich, dass soziale Themen durch extremistische Gruppen - sowohl von rechts als auch von links - für eine verfassungsfeindliche Agenda genutzt werden könnten.

"Keine Anzeichen für Massenkrawalle"

Tatsächlich sieht auch der Verfassungsschutz die Gefahr, dass der legitime Protest gekapert wird. "Mit einer Verbindung der Themenfelder Inflation, Energie, Ukrainekrieg und Corona versuchen Extremisten aktuell, Anschluss an die Mitte der Gesellschaft zu gewinnen und für ihre Agenda zu mobilisieren", erklärte eine Sprecherin auf Nachfrage des WDR. "Feindbilder, die sich bereits in der Hochphase der Coronapandemie herausgebildet haben, könnten dabei einerseits übernommen, andererseits auf weitere Ziele übertragen werden. Aber: "Wir beobachten genau, ob sich die verbale Agitation im Internet in einer Mobilisierung für verfassungsschutzrelevante Aktivitäten in der Realwelt niederschlägt", so die Sprecherin. "Bisher gibt es noch keine Anzeichen für flächendeckende staatsfeindliche Proteste oder gar gewalttätige Massenkrawalle.

Keine Querfront?

Der Verfassungsschutzchef schloss in der "Bild am Sonntag" aus, dass linke und rechte Extremisten in der Energiekrise gemeinsame Sachen machen. "Von einer solchen Querfront, bei der sich die Lager zusammenschließen, kann die rechtsextremistische Szene nur träumen", sagte er der Zeitung. "Für Linksextremisten verbietet sich eine Zusammenarbeit per se, weil sie Rechtsextremisten als Faschisten betrachten."

Protestforscherin: "Es gibt eine Krisen-Mobilisierung"

Dass ein "Wut-Herbst" kommen könnte, sieht indes auch Janina Patz, Protestforscherin am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena.

Protest auf der Straße

Protest auf der Straße

Es gebe eine Krisen-Mobilisierung, erklärt sie gegenüber dem WDR. Dies sei schon seit mehreren Jahren zu beobachten und habe bereits 2015 mit den Anti-Asyl-Protesten begonnen - gefolgt von Protesten gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen und gegen die Klimapolitik. In Bezug auf einen möglichen "Heißen Herbst" sagt Janina Patz, dass es eine antidemokratische Klientel aus verschiedenen Splittergruppen und Parteien gebe. "Und da ist das Ziel tatsächlich, gegen das System zu marschieren."

Dennoch sei Protest eine wichtige Artikulationsform in der Demokratie. Gemeint sei "ein demokratisch und legitimer Protest, der sich als Teil des demokratischen Prozesses versteht und nicht gegen das System marschiert. Dann obliegt es den Bürgerinnen tatsächlich zu entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wollen."

Sicherheitsbehörden auf Protest eingerichtet

Im ZDF sagte Sachsens CDU-Innenminister Armin Schuster auf die Frage, welche Szenarien er im Herbst sehe: "Natürlich sind meine Sicherheitsbehörden darauf eingerichtet, dass das Versammlungsgeschehen im Winter deutlich ansteigen könnte. Meiner Meinung nach ist das aber sehr stark davon abhängig, wie gut wir diese Krise managen, hier aber vor allem durch die Bundesregierung." Der Bundeskanzler solle schleunigst einen Krisenstab einberufen, so Schuster.

Mit Blick auf den Aufruf der Linken zu Montagsdemonstrationen kritisiert Schuster, dass diese Aktionen und die Wortwahl rechten Gruppen und deren Protesten in die Hände spiele.

"Mangelndes Geschichtsbewusstsein"

Scharfe Kritik daran übte auch der Vorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, Dieter Dombrowski. "Dass die Linke versucht, die Montagsdemonstrationen, die im Widerstand gegen die SED-Diktatur entstanden sind, umzufunktionieren, ist beschämend und zeugt von mangelndem Geschichtsbewusstsein", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Fake News - auch zum Protest

Und auch noch etwas anders könnte die Debatte weiter anheizen: Fake-News, die im Tarnkleid seriöser Medien daher kommen. So wurde bereits eine massive Protestwelle für den Herbst prophezeit, auf deren "gewaltsame Unterdrückung" sich die Regierung vorbereite. Sogenannte Fake-Links im Erscheinungsbild etablierter deutscher Medien tauchen derzeit immer häufiger auf. Sie sind kaum vom Original zu unterscheiden und werden in den Kommentarspalten sozialer Medien geteilt - auch auf den Seiten des WDR.

Über dieses Thema berichtet am Sonntag, 28.08.2022 auch die Aktuelle Stunde im WDR Fernsehen, 18:45 Uhr.