Mit dem Privatjet in den Kurzurlaub: "Exorbitante Emissionen"
Stand: 10.06.2023, 10:48 Uhr
Privatjets sind zuletzt in den Fokus von Klima-Aktivisten gerückt. Aus Protest klebten sie sich auf Sylt an einen Jet, nachdem sie diesen angesprüht hatten. So schätzt Mobilitätsforscher Stefan Gössling die Klimaschädlichkeit der Privatjets ein.
Nach Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung ist die Zahl der Privatjet-Flüge in Deutschland 2022 auf ein Rekord-Niveau gestiegen. Mit 94.000 Starts von sogenannten Business-Flugzeugen in Deutschland hat die Europäische Flugkontroll-Organisation (Eurocontrol) rund 8.000 mehr verzeichnet als im Vorjahr.
Diese hätten eine Menge von Treibhausgasen verursacht, die mehr als einer Million Tonnen CO2 entspricht. 60 Prozent dieser Flüge seien kürzer als 300 Kilometer gewesen.
Das wird von Experten wie Stefan Gössling kritisiert. Gössling ist Professor an der schwedischen Universität Kalmar und Experte für Mobilität und nachhaltigen Tourismus. Im WDR-Interview fordert er ein Umdenken im Umgang mit Privatjets.
WDR: Sollten Flüge von Privatjets Ihrer Ansicht nach stärker eingeschränkt bzw. mit höheren Auflagen belegt werden?
Stefan Gössling: Aus wissenschaftlicher Sicht ist klar, dass der Flugverkehr bis 2050 unmöglich durch technische Maßnahmen auf null Emissionen gebracht werden kann. Ohne Einschränkungen des Flugverkehrs werden die Klimaziele also nicht erreicht werden. Da klar ist, dass nur ein Prozent der Weltbevölkerung 50 Prozent der Emissionen des Flugverkehrs verursacht und vor allem die Privatflugzeuge exorbitante Emissionen verursachen, ist es eigentlich keine Frage, dass man hier anfangen sollte.
Die Nutzer von Privatflugzeugen fliegen häufig zu Freizeitzwecken - und die Konsequenzen ihres Handelns sind ihnen offensichtlich egal. Darum bin ich der Meinung, dass Kurzstreckenflüge verboten werden sollten. Verbote sind unpopulär, aber es geht um minimale Einschränkungen für eine sehr begrenzte Gruppe von Menschen, mit großer symbolischer Bedeutung. Außerdem sollten Privatflugzeuge mit deutlich höheren Abgaben belegt werden. Ich denke, dass Start- und Landegebühren in einer Größenordnung von mindestens 5.000 Euro angemessen wären, da es sich um sehr wohlhabende Nutzer handelt, die von niedrigeren Abgaben kaum beeinträchtigt würden.
WDR: Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie hält klimaneutrales Fliegen bis 2050 sehr wohl für möglich. Warum sehen Sie das anders?
Gössling: Das glaubt kein Wissenschaftler, der sich mit diesen Fragen auseinandersetzt. Der Rückblick zeigt, dass bis 2019 fast alle Airlines jährlich höhere Emissionen verursacht haben, trotz aller Lippenbekenntnisse zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Keine der neuen Technologien bzw. der "nachhaltigen" Treibstoffe sind spruchreif, bei vielen ist vollkommen unklar, ob sie jemals einen signifikanten Beitrag zur nachhaltigen Luftfahrt leisten werden - und zu welchen Kosten.
Es gibt meines Wissens keine funktionierenden Pilotanlagen für synthetische Treibstoffe und selbst wenn diese funktionierten, wäre unklar, woher die enormen Mengen erneuerbaren Stroms kommen sollen, die diese Anlagen brauchen. Wir haben gerade errechnet, dass unter Annahme weiteren Wachstums die Emissionsintensität des Flugverkehrs um mindestens zehn Prozent pro Jahr verbessert werden müsste, wir sind aber aktuell bei zwei Prozent. Die Idee eines klimaneutralen Flugsektors ist vollkommen unrealistisch.
Mit welchen Maßnahmen ließe sich Fliegen sich jetzt schon – noch vor der Entwicklung neuer Technologien – klimaverträglicher gestalten?
Gössling: Wenn man den Privatflugverkehr einschränkte und gleichzeitig nur noch in der Economy Class geflogen werden dürfte, könnten 25 Prozent der Emissionen von heute auf morgen reduziert werden. Dies, weil Privatflüge, erste Klasse und Business Class bis zu 40 Mal mehr Emissionen pro Fluggast verursachen als die Economy Class. Insbesondere Privatflugzeuge sind sehr klimaintensiv, auf einen Passagier bezogen mit Treibstoffverbräuchen von teilweise mehr als 1.500 Litern pro Stunde, im Vergleich zum Durchschnitt von rund 30 Litern pro Stunde in der kommerziellen Luftfahrt.
WDR: Wie sind die klimaschädlichen Auswirkungen der Privatjets gemessen an ihrem Anteil am Luftverkehr zu bewerten?
Gössling: Ein Kollege hat einmal gesagt: Paris verursacht weniger als ein Prozent aller Emissionen und London auch, dann brauchen wir uns ja um diese Städte wohl nicht zu kümmern. Das Problem ist, dass sich jeder Sektor gern kleinrechnet. Der Privatflugverkehr verursacht nur vier Prozent der Emissionen des Flugverkehrs, der Flugverkehr wiederum nur vier Prozent der globalen Erderwärmung.
Aber das verkennt eben, dass einzelne Menschen durch ihr Verhalten bis zu 30.000 Tonnen CO2 im Jahr produzieren, mehr als eine zentralafrikanische Großstadt mit über 200.000 Menschen. Wenn wir im Klimaschutz weiterkommen wollen, dann müssen wir da sparen, wo besonders hohe Emissionen verursacht werden - vor allem, weil gerade bei den sehr reichen Menschen auch die größten Zuwächse der Emissionsmengen stattfinden.