Deutschland kriegt einen Polizeibeauftragten
Aktuelle Stunde . 14.03.2024. 42:34 Min.. UT. Verfügbar bis 14.03.2026. WDR. Von Astrid Houben.
Erster Polizeibeauftragter des Bundes gewählt: Was er leisten soll
Stand: 15.03.2024, 14:55 Uhr
Der Bundestag hat am Donnerstag Uli Grötsch (SPD) zum ersten Polizeibeauftragten des Bundes gewählt. Was soll er leisten? Und wie unabhängig sind er und seine Kollegen in NRW und anderswo? Fragen und Antworten.
Von Jörn Seidel
Was tun, wenn man Opfer von Polizeigewalt wird? Oder wenn man sich durch Worte oder Handlungen von Polizisten diskriminiert fühlt - als Bürger oder auch als Polizeimitarbeiter? In mehreren Bundesländern gibt es für solche und viele andere Anliegen Polizeibeauftrage. Mit Uli Grötsch gibt es nun erstmals auch im Bund einen Zuständigen.
Was soll der neue Polizeibeauftragte leisten? Wie unabhängig sind die Polizeibeauftragten in Bund und Ländern? Und warum ist der Beauftragte in NRW nicht auch Ansprechpartner für Bürgerinnen und Bürger? Die Hintergründe:
Was soll der neue Polizeibeauftragte im Bund leisten?
Der Polizeibeauftragte des Bundes ist ausschließlich für die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Polizei beim Deutschen Bundestag zuständig. Das Amt ist beim Bundestag angesiedelt, also keiner Regierung unterstellt und auch nicht weisungsgebunden. Damit gilt der Polizeibeauftragte als unabhängig.
Die Aufgaben des Polizeibeauftragten regelt ein eigenes Bundesgesetz. Demnach soll er "strukturelle Mängel und Fehlentwicklungen", aber auch auch "mögliches Fehlverhalten von Beschäftigten" aufdecken, bewerten und untersuchen. Missstände können sowohl Polizeibeschäftigte als auch Bürgerinnen und Bürger melden.
Beate Böhlen, Bürgerbeauftragte Baden-Württemberg
Missstände bei der Polizei können zum Beispiel ungerechtfertigte Gewaltanwendung und extremistische Gesinnung sein. Oder auch sexuelle Übergriffigkeit und Führungsversagen, sagte am Donnerstag die Polizeibeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Beate Böhlen (Grüne), dem WDR. Dort heißt sie Bürgerbeauftragte und ist nicht nur für die Polizei zuständig.
Wer ist der erste Polizeibeauftragte des Bundes, Uli Grötsch?
Uli Grötsch (SPD) im Bundestag
Der 48-jährige Grötsch stammt aus der Oberpfalz in Bayern. Er ist Polizeibeamter und seit 2013 Bundestagsabgeordneter für die SPD. Bis zum vergangenen Jahr war er ordentliches Mitglied im Innenausschuss.
Welche Polizeibeauftragten gibt es in den Bundesländern?
Bis auf Bayern und das Saarland gibt es überall Polizeibeauftragte oder entsprechende Beauftragte und Stellen. Zum Teil sind sie ausschließlich behördeninterne Ansprechpartner, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen.
In acht Bundesländern sowie im Bund sind die Polizeibeauftragten in den Länderparlamenten angesiedelt. In NRW und fünf anderen Ländern hingegen gehören die Polizeibeauftragen bzw. die Vertrauens- und Beschwerdestellen zur Landesverwaltung. Sie sind also einem Minister oder einer Ministerin unterstellt. Es gibt daher den Vorwurf, dass sie nicht wirklich unabhängig seien.
Wie unabhängig ist der Polizeibeauftragte in NRW?
Seit 2019 gibt es mit Thorsten Hoffmann auch in NRW einen Polizeibeauftragten. Der 62-Jährige hat eine lange Karriere bei der Polizei hinter sich, war aber auch CDU-Politiker und Bundestagsabgeordneter.
Hoffmanns Amt ist direkt bei Innenminister Herbert Reul (CDU) angesiedelt. Weisungsgebunden ist er aber nicht.
Um das Amt unabhängiger zu machen und auch für Hinweise und Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern zu öffnen, hat sich die schwarz-grüne Landesregierung im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, den Polizeibeauftragten im Landtag anzusiedeln. Im Haushalt ist dafür bereits ein Etat eingeplant.
Die Verhandlungen zwischen Grünen und CDU sind auf einem guten Weg, um Details wird aber noch gerungen. Denn die Grünen wollen das Amt auch für Bürgeranfragen öffnen - die Christdemokraten nicht. Ihr Argument: Das käme einem Misstrauen gegenüber der Polizei gleich.
Stärken unabhängige Polizeibeauftragte Misstrauen gegenüber der Polizei?
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) äußerten Kritik am neuen Amt des Polizeibeauftragten im Bund. Es sei verfassungsrechtlich bedenklich, dass er eigenständig ermitteln könne, lautet einer der vielen Vorwürfe.
Ein anderer: Die Stellenbeschreibung habe einen "konfrontativen Charakter" - erforderlich sei hingegen ein "vermittelnder und partnerschaftlicher Ansatz", so die DPolG. Der Vize-Vorsitzende der GdP, Jörg Radek, erhob in der Vergangenheit den Vorwurf, dass der unabhängige Polizeibeauftragte im Bund "Misstrauen" gegenüber der Polizei schüren werde.
Professor Rafael Behr
Als "Unfug" bezeichnete das am Donnerstag Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg im Interview mit dem WDR. "Das sagen die Gewerkschaften immer, weil sie einen Closed Shop haben wollen", in den die Zivilgesellschaft nicht hineinschauen solle.
Auch Bürgerbeauftragte Böhlen betont das Positive ihres Amtes, das wie im Bund beim Parlament angesiedelt ist: Es sei eine "große Errungenschaft" für die Polizistinnen und Polizisten, dass sie sich an jemanden wenden können, der nicht der Strafverfolgungspflicht unterliege. Das biete eine Vertraulichkeit, in der man weitere Schritte besprechen könnte, meint Böhlen.
Über dieses Thema berichtet am 14.03.2024 auch die "Aktuelle Stunde" im WDR Fernsehen um 18.45 Uhr.
- Gesetz über die Polizeibeauftragte oder den Polizeibeauftragten des Bundes beim Deutschen Bundestag
- WDR-Interview mit Beate Böhlen, Bürgerbeauftragte des Landes Baden-Württemberg
- WDR-Interview mit Professor Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg
- Mitteilung der Landesregierung NRW zur Bestellung des Polizeibeauftragten Thorsten Hoffmann
- "Unabhängige Polizeibeauftragte in den Ländern", Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom April 2022
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa