Zahl der Pflegebedürftigen deutlich angestiegen

Aktuelle Stunde 27.05.2024 26:17 Min. UT Verfügbar bis 27.05.2026 WDR Von Sebastian Auer

Zahl der Pflegefälle steigt: "Man sollte so früh wie möglich darüber sprechen"

Stand: 27.05.2024, 18:27 Uhr

Immer mehr Menschen in Deutschland müssen gepflegt werden. Nicht nur für die Pflegekassen ist das eine Herausforderung, sondern auch für die Angehörigen. Diese Fragen sollten Sie rund um die Pflege schon früh mit Ihren Eltern klären.

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, stellt die Krankenhausreform in der Bundespressekonferenz vor.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)

Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wesentlich stärker als bislang angenommen. Demnach kamen im vergangenen rund 360.000 Pflegebedürftige bundesweit dazu. Das Bundesgesundheitsministerium hatte jedoch seinen Berechnungen zufolge nur mit einem Anstieg von 50.000 gerechnet. Dies stelle vor allem die Pflegeversicherung vor ein riesiges Problem, so im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

"Mit dem jetzigen Beitragssystem allein werden wir das Leistungsniveau der Pflege nicht erhalten können." Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister

Ursache für diesen Anstieg ist laut Lauterbach vor allem ein Sandwicheffekt, wie er es nennt: "Zu den sehr alten, pflegebedürftigen Menschen kommen die ersten Babyboomer, die nun ebenfalls pflegebedürftig werden", so der Bundesgesundheitsminister. "Es gibt also erstmals zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflege angewiesen sind: die Babyboomer und deren Eltern."

Mehr als 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause umsorgt

Diese Entwicklung bedeutet auch, dass sich immer mehr Menschen darum kümmern müssen, dass ihre Großeltern oder Eltern versorgt werden, sollten sie pflegebedürftig werden.

In einem Großteil der Fälle bedeutet das, dass sich die Angehörigen - meist die Kinder - selbst um die Pflege kümmern. Nach Informationen des Statistischen Bundesamtes wurden 2021 bereits 63 Prozent der Pflegebedürftigen von Angehörigen zu Hause versorgt. Weitere 21 Prozent wurden von ambulanten Betreuungsdiensten in den eigenen vier Wänden gepflegt. Nur 16 Prozent kamen in Pflege- oder Seniorenheimen unter.

Insgesamt gibt es fünf Pflegegrade. Sie sollen die Art und Schwere der jeweiligen Beeinträchtigung erfassen. Dabei geht es neben der Mobilität und Verhaltensweise einer Person auch um die Selbstversorgung und soziale Kontakte. Hier gibt es Infos dazu, wie die Berechnung der Pflegegrade funktioniert und wo Angehörige Hilfe finden können.

Durch den starken Anstieg werden sich diese Verhältnisse aller Voraussicht nach noch mehr in Richtung der heimischen Pflege verschieben, denn schon jetzt sind Plätze in Pflegeheimen Mangelware.

Welche Pflege wünschen sich die Betroffenen?

Umso wichtiger sei es, frühzeitig mit den Eltern oder anderen nahen Angehörigen über das Thema Pflege zu sprechen, sagt Linda Nykamp von der Verbraucherzentrale NRW. "Natürlich gibt es Fälle, in denen die Pflegebedürftigkeit Schritt für Schritt zunimmt", sagt sie. "Es kann aber auch passieren, dass Menschen durch einen Unfall oder eine Krankheit von einem auf den anderen Tag dauerhaft Hilfe brauchen."

In beiden Fällen sei es sinnvoll, möglichst früh die Rahmenbedingungen zu klären, wie eine mögliche Pflege später ablaufen soll. Einerseits, damit die zu Pflegenden dann auch wirklich so versorgt werden können, wie sie es sich wünschen. Andererseits, damit ihre Angehörigen auch die nötigen Befugnisse haben, um sich beispielsweise um ihre Eltern kümmern zu können. Die Pflegeberatungsstellen in den Kommunen können dabei unterstützen.

Im Vorfeld klären: Wer macht was?

"Gerade bei der Versorgung ist es wichtig, dass die Wünsche beider Seiten berücksichtigt werden", sagt Nykamp. So müsse beispielsweise geklärt werden, welche Aufgaben die Angehörigen übernehmen und für welche beispielsweise ein Pflegeunternehmen zuständig ist.

"Eine zentrale Frage ist in diesem Zusammenhang oft, wer die Betroffenen wäscht und anzieht", sagt Nykamp. "Nicht selten empfinden gerade Eltern es beschämend, wenn diese Aufgabe ihre Kinder übernehmen." Es könne aber auch sein, dass Tochter oder Sohn dies nicht selbst machen wollen.

Die wichtigsten Verfügungen und Vollmachten

Ein weiterer Aspekt, der früh geklärt werden sollte, ist es den Angehörigen für den Notfall Handlungsmöglichkeiten zu geben. Zentral sind dabei laut Nykamp drei Schriftstücke:

  • die Patientenverfügung
  • die Vorsorgevollmacht
  • die Betreuungsverfügung

Die Patientenverfügung regelt, was im Falle einer schweren Krankheit geschehen soll. Der Betroffene legt darin im Vorhinein fest, wie er beispielsweise behandelt werden will – für den Fall, dass er später nicht mehr ansprechbar ist. "Darin kann stehen, ob der oder die Betroffene künstlich ernährt werden will und wie lange lebenserhaltende Maßnahmen aufrechterhalten werden sollen", sagt Nykamp.

In der Vorsorgevollmacht wird festgelegt, wer anstelle der pflegebedürftigen Person bestimmte Angelegenheiten regeln soll, wenn sie es selbst nicht mehr kann. Darin können Eltern die Aufgaben auch auf verschiedene Kinder, Angehörige oder Freunde aufteilen, zum Beispiel, dass sich der Sohn um Gesundheitsfragen und die Tochter um die finanziellen Belange kümmern soll.

Eine Betreuungsverfügung kommt immer dann zum Einsatz, wenn eine Vorsorgevollmacht nicht vorliegt. Darin können die Betroffenen Vorschläge machen, wen ein Betreuungsgericht im Notfall als Betreuer oder Betreuerin auswählen soll. Zudem können darin andere Wünsche festgeschrieben werden, die sich die pflegebedürftige Person wünscht, sollte sie sich nicht mehr selbst darum kümmern können. Zum Beispiel, dass sie so lange wie möglich zu Hause gepflegt werden will oder dass einem bestimmten Verein monatlich eine Spende überwiesen werden soll.

Gegenseitiges Verständnis

Bei sämtlichen Schritten sei es wichtig, nie die Bedürfnisse beider Seiten aus dem Auge zu verlieren, betont Nykamp. "Weder Eltern noch Kinder sollten sich gegenseitig bedrängen", sagt Nykamp. Nur so könne gewährleistet werden, dass die Pflege am Ende für beide Seiten möglichst optimal geregelt ist. "Man darf auch nicht vergessen, dass sich nur jemand, der sich auch um sich selbst kümmert, auch um andere kümmern kann", so Nykamp.

Unsere Quellen:

  • RND-Interview mit Bundesesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
  • Interview mit Linda Nykamp von der Verbrauchzentrale NRW
  • Pflegewegweiser NRW

Über dieses Thema berichtet der WDR am 27. Mai 2024 auch im Hörfunk und im Fernsehen, unter anderem im "Tag um zwölf" auf WDR 5.

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